Chruschtschow hielt, als er an die Macht kam, an diesen Maximen fest. Erst 1961, als Bogdan Staschinski - der die Führer der ukrainischen Diaspora Lew Rebet und Stepan Bandera ermordet hatte - die Terrormethoden des KGB offen legte, mussten die Tschekisten ihren Eifer ein wenig drosseln, was keineswegs bedeutete, die bewährte Arbeitsweise gänzlich aufzugeben. So wurde 1964 ein Experte vergiftet, der nach Moskau gekommen war, um in der Botschaft der BRD Abhöreinrichtungen aufzuspüren. 1975 kam es zum Tod des ehemaligen Offiziers der sowjetischen Kriegsmarine Nikolaj Artamonow. Artamonow war 1959 in einem Boot nach Schweden geflohen und dann in die USA gezogen. Seit Ende der sechziger Jahre arbeitete er mit dem sowjetischen Geheimdienst zusammen, wurde 1975 in Wien unter dem Verdacht, ein Doppelagent zu sein, zur Rückführung in die UdSSR gekidnappt, und war dann nach der Verabreichung einer Spezialdroge gestorben. Auch der Mord an dem afghanischen Staatschef Amin ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Es ist bekannt, dass Amin in der Nacht vom 27. zum 28. Dezember 1979 von einem Sonderkommando des KGB bei der Stürmung seines Palastes in Kabul getötet wurde. Kaum jemand weiß jedoch, dass einen halben Tag früher ein als Koch getarnter Agent des KGB versucht hatte, Amin zu vergiften.
Das Objekt der Prophylaxe
Hauptaufgabe der sowjetischen Geheimpolizei blieb auch nach der Gründung des KGB die Beseitigung aufmüpfigen und abweichenden Denkens. Chruschtschow hatte zwar in einer Rede erklärt, die Partei könne sich auf das Volk verlassen, doch verhaftete der KGB im Jahre 1954 2142 Personen wegen „konterrevolutionärer" Straftaten nach Paragraph 58 des damaligen Strafgesetzbuches. Im Jahre 1955 waren es 1069, 1956 – 623, 1957 – 2498, 1958 – 1545 und 1959 – 992 Personen. 1961 wurden 207 Personen wegen „antisowjetischer Agitation und Propaganda" nach Paragraph 70 des neuen Strafgesetzbuches verurteilt, im folgenden Jahr waren es 323 Verurteilungen... Es dauerte nicht lang, bis Chruschtschows Idealismus an der Wirklichkeit zerbrach. Denn dass sich die Partei keineswegs auf ihr Volk verlassen konnte, zeigten im Juni 1962 die Ereignisse in Nowotscherkassk, als Gießereiarbeiter massenhaft für bessere Arbeitsbedingungen demonstrierten und die Behörden mir Maschinengewehrfeuer und Todesurteilen für die „Rädelsführer" reagierten.
Zu Beginn der sechziger Jahre entstand das Konzept einer „vernünftigen Suffizienz" der Repressionen, mit denen der KGB die Einschüchterung der Bevölkerung vornehmen sollte. Es handelte sich hierbei nicht um einen Kampf, durch den alle sowjetischen Bürger zu einem einheitlichen Denken gezwungen werden sollten. Vor allem ging es darum, dass sie in der Öffentlichkeit den Mund hielten. Was in der eigenen Küche gesagt wurde, war dann weniger von Belang. Die Praxis der Inhaftierungen wegen antisowjetischer Agitation und Propaganda in mündlicher Form wurde dann unter Generalsekretär Andropow wieder aufgenommen.
Von den sechziger bis achtziger Jahren stellte die „vernünftige Suffizienz" der Repressionen die charakteristische Vorgehensweise des KGB dar. Sie bestand in einer „Prophylaxe", der alljährlich Zehntausende unterzogen wurden. Als „Prophylaxe" wurde der informelle Druck bezeichnet, der im „Arbeitskollektiv", durch die „Bearbeitung auf Mitarbeiterversammlungen", mit Hilfe von Agenten des KGB auf Bürger ausgeübt wurde. Die „Bearbeitung" erfolgte auch unmittelbar durch Angehörige des KGB, die mit ihrem „Objekt" ein Gespräch führten: „Sie verhalten sich nicht korrekt und das ist schlecht. Denn in Wirklichkeit ist der sowjetische Staat gut. Auch, wenn es den einen oder anderen Mangel geben mag, so darf man das keinesfalls verallgemeinern". Im Allgemeinen warnten die Genossen vom KGB den Betroffenen, dass es ihm, wenn er in diesem Geiste weitermacht, sehr schlecht ergehen würde. Unterlagen aus den Archiven des ehemaligen KGB zufolge wurden 1975 20.000 Personen einer „Prophylaxe" unterzogen, 1976 waren es 18.000 Personen, 1977 – 22.000, 1978 – 15.000 und 1979 – 18.000. Viele, die solch ein „väterliches" Gespräch hinter sich hatten, hüteten daraufhin natürlich ihre Zunge. Und diejenigen, die ihr Verhalten beibehielten, hatten gute Chancen, zu Dissidenten zu werden.
Die 1959 von Chruschtschow eingeleitete Straffung der KGB- Strukturen - die Verkleinerung des zentralen Apparates sowie der regionalen Organe – fand bereits 1962 ein Ende. In der Folgezeit wurde der KGB immer weiter ausgebaut: Es wurden neue Abteilung geschaffen, die bereits bestehenden wurden aufgebläht, die Personalstärke und ihre Entlohnung wurde angehoben und die Zahl der Generalsposten ausgeweitet. Das System wucherte immer weiter - bis zu seinem Ende.
Praxis und Profil
War diese Geheimpolizei erfolgreich? Das Bild einer außergewöhnlichen Professionalität der KGB-Mitarbeiter, wie es gerade jetzt propagiert wird, ist ein Mythos. Die Flucht des Offiziers der Ersten KGB-Hauptverwaltung (PGU) und britischen Agenten Oleg Gordijewski illustriert dieses „Superprofil" bestens. Im Jahre 1985 konnte sich Gordijewski, obwohl er bereits „bearbeitet" wurde, über die Grenze absetzen. Dieser Fall veranschaulicht, dass die unter dem Dach des KGB zusammengefassten Sparten Aufklärung (Erste Hauptverwaltung) und Spionageabwehr (Zweite Hauptverwaltung) ihre Aktivitäten nicht immer koordinierten. Die Erste Hauptverwaltung (PGU) versuchte, den Fall Gordijewski mit Hilfe ihrer Leute in der Zweiten Hauptverwaltung zu lösen, ohne, dass deren Leitung auch nur im Geringsten davon in Kenntnis gesetzt wurde. General Bojarow, erster stellvertretender Leiter der Zweiten Hauptverwaltung hatte nicht die geringste Ahnung, dass einer seiner Referatsleiter mit dem Fall betraut worden war – nämlich der Leiter des China-Referats! Ein klassisches Beispiel mangelnder innerbehördlicher Abstimmung, das schließlich in einem aufsehenerregenden Fiasko endete.
Visitenkarte und wichtigstes Massenprodukt des KGB jener Jahre waren die Verfahren nach Paragraph 70 des Strafgesetzbuches („antisowjetische Agitation und Propaganda") und Paragraph 190 („Verbreitung verleumderischer Lügen zum Schaden der sowjetischen Staatsordnung"). Die Ermittlungen wurden stets äußerst schlampig geführt und dementsprechend fielen auch die Anklagen aus. In diesen Verfahren hätte Vorsatz nachgewiesen werden müssen, was jedoch kaum befolgt wurde. Den Gerichten wurden dann Geständnisse der Beschuldigten übergeben. Ein typischer Fall ist die Verurteilung von Andrej Mironow in Ischewsk (Udmurtische ASSR) im April 1986, bereits unter Gorbatschow. In der udmurtischen Regionalverwaltung des KGB hatte sich niemand die Mühe gemacht, Beweise zu sammeln. Ein paar Zeugenaussagen hatten ausgereicht: Dass der Betreffende dort und dort gesagt habe, es gebe in der UdSSR keine freien Wahlen und dass es im Falle eines sinkenden Ölpreises in der Sowjetunion zu einer Wirtschaftskrise kommen würde.
Mironow wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt und der für das Verfahren verantwortliche Offizier Zechanow machte eine glänzende Karriere, stieg – nun schon in der Russischen Föderation – zum General auf und wurde Leiter der Verwaltung Abwehr von Wirtschaftsspionage des Auslandsgeheimdienstes . Nicht wenige solcher „Fachleute" machten im heutigen Inlands- und Auslandsgeheimdienst Karriere. Goluschko, ehemaliger Kämpfer wider die ukrainischen Dissidenten, wurde zum Sicherheitsminister und zum ersten Direktor des Nach-KGB-Auslandsgeheimsdienstes. Nikolai Kowaljow, der dem Fünften Dienst der Regionalverwaltung Moskau des KGB entstammt, war 1996-1998 Direktor des heutigen Inlandsgeheimdienstes FSB. Auch Viktor Tscherkesow, ehemals Kämpfer gegen die Leningrader „Aufrührer", ist jetzt General.
Finale?
Die Apologie feiert neuen Urstand. Um die Vergangenheit des KGB objektiv beurteilen zu können, muss man diese kennen. Die Archive der Geheimdienstzentrale Lubjanka, die Anfang der neunziger Jahre kurze Zeit und eingeschränkt zugänglich waren, wurden jedoch schon bald wieder fest verschlossen. Selbst, wenn jemand den überzeugendsten Antrag auf gelungenste Weise vorbringt, wird er oder sie dennoch nicht das Geringste einsehen können. Die Tschekisten versuchen mit allen Mitteln, die Wahrheit unter Verschluss zu halten.
Diejenigen, die heute den KGB rühmen, vergessen dessen unrühmliches Ende. Um den Jahreswechsel 1991/1992 sorgten die Tschekisten für die größte Schande ihrer Geschichte: War doch der KGB dazu berufen, dem Regime als „zuverlässige Stütze" zu dienen - und hat dessen Zusammenbruch dennoch nicht verhindern können. Nicht selten wird behauptet: „Der KGB hatte doch sein Gutes". Doch die Geschichte vom effektiven Geheimdienst in einem von Auflösung bedrohten totalitären System ist ein Märchen, das jetzt vom FSB kultiviert wird. Das System des KGB war von der gleichen Krankheit befallen, die die gesamte sowjetische Gesellschaft plagte. Schon deshalb entbehren alle Behauptungen, der KGB sei die am wenigsten korrupte Behörde der UdSSR gewesen, jeder Grundlage. Der KGB-General Kapugin beschreibt in seinen Memoiren den Skandal um die finanziellen Verbindungen, die Anfang der siebziger Jahre zwischen der russisch-orthodoxen Kirche und der KGB-Regionalverwaltung Rostow bestanden. Es ging um den Fall des KGB-Majors Chwostikow, der wegen der Erpressung von Bestechungsgeldern bei einem Priester zum Tode durch Erschießen verurteilt worden war. Zu ähnlichen Skandalen kam es auch Mitte der achtziger Jahre. Die Verbindung „Agent-Geld-KGB" funktionierte im ganzen Land, und zwar als kriminelle Verbindung und insbesondere in den vom KGB „bearbeiteten" Bereichen der Wirtschaftskriminalität (Schmuggel und illegaler Devisenhandel).
Das System aus Vetternwirtschaft und Beziehungen war für den KGB sogar in höherem Maße kennzeichnend, als für alle anderen Behörden der UdSSR. Persönliche Empfehlungen, „Verlässlichkeit" und „Erfahrung" durch Vetternschaften x-ten Grades waren sehr viel wichtiger als berufliche und fachliche Qualitäten. Jetzt wird behauptet: Wir haben doch der Heimat gedient! Dabei genügt bereits ein Blick in die Gesetzesverordnung über den KGB aus dem Jahre 1959, die den Tschekisten bis zum Schluss als Richtlinie diente. Dort ist nicht von der Heimat die Rede, sondern vom ZK der KPdSU, und das sind schließlich zwei verschiedene Paar Schuhe!
Heute sehen wir die Überreste des Giganten, wie sie sich eigenständig entwickeln. Mehrere Jahre schon werden Versuche unternommen, den ehemaligen Monolithen auferstehen zu lassen. Doch das wäre sinnlos und wenig effektiv. Allein deshalb, weil ein solches Monstrum noch weniger kontrollierbar wäre – auch für die Regierung. Das Zusammenwirken der Geheimdienste wird sich dadurch, dass sie in einer Behörde zusammengefasst werden, nicht verbessern. Stellen wir uns einmal vor, dass morgen FSB und SWR (so heisst der Auslandsgeheimdienst heute) zur gemeinsamen Bewältigung ihrer Aufgaben zusammengelegt würden. Dieser „Neo-KGB" würde von den Widersprüchen hin und her gerissen werden und an innerbehördlichem Kompetenzwirrwarr leiden. Die massenweise Einstellung von Geheimdienstbeamten in der Zivilverwaltung muss uns jedoch weitaus stärker beunruhigen: Wenn die Vertreter einer bankrotten Einrichtung in die Regierung einziehen, wird auch dieses Regime über kurz oder lang den Bankrott erleben.
Der Verfasser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Informations- und Bildungszentrums „Memorial" und Mitautor des von Alexander Jakowlew herausgegebenen Handbuchs „Lubjanka: organy VCK-OGPU-NKVD-NKGB-MGB-MVD-KGB“, Moskau 2003