Von Barbara Unmüßig und Liane Schalatek
Der Internationale Währungsfonds steht nur noch selten in den Schlagzeilen. Dieses gefürchtete Machtinstrument der reichen Länder hat an Einfluss verloren, weil aufstrebende Schwellenländer große Devisenreserven angesammelt haben. Die IWF-Spitze will diese Länder nun mit Reformen einbinden – allerdings ohne allzu große Erfolgschancen.
Nie zuvor in seiner 60-jährigen Geschichte steckte der Internationale Währungsfonds (IWF) in solch einer Legitimationskrise wie zur Zeit. Der wachsende Kritiker-Chor singt den Refrain „reformiere dich oder stirb“. Die Botschaft ist bis in die Führungsetage der grauen Beton- und Glasburg in Washington gedrungen. Die von IWF-Direktor Rodrigo de Rato angekündigte Reform soll die Organisation mit 184 Mitgliedsstaaten vor der drohenden Bedeutungslosigkeit im 21. Jahrhundert retten.
Haupttenor der strategischen Neuausrichtung ist: Der Fonds soll stärker multilateral agieren, sich auf ein aktualisiertes globales Überwachungsmandat konzentrieren und vor allem die wirtschaftsstarken Schwellenländer fairer in seinen Führungsgremien und Entscheidungen repräsentieren. De Rato hat den Auftrag, bei der Herbsttagung des IWF in Singapur im September dem maßgebenden Währungs- und Finanzausschuss (IMFC) einen Reformplan vorzulegen, der danach zügig umgesetzt werden soll.
Ungewollte Schwäche
In den vergangenen Jahren ist es um den IWF ruhig geworden. Größere Finanzkrisen gab es nicht. Die technokratische Diskussion über bessere Finanzmarktaufsicht war wenig spektakulär. Im liquiden globalen Finanzumfeld war der IWF als Kreditgeber und „lender of last resort“ für die Mehrzahl der wichtigen Schwellenländer ökonomisch wie politisch nicht mehr attraktiv. Vor allem asiatische Schwellenländer haben nach ihren negativen Erfahrungen mit dem Fonds in der Finanzkrise von 1997 reichlich Devisenreserven (bislang rund 2500 Milliarden Dollar) akkumuliert. Andere große Schuldner wie Brasilien und Argentinien haben ihre Milliarden-Verbindlichkeiten beim Fonds Ende letzten Jahres sogar vorzeitig beglichen, um den Politikauflagen aus Washington, über welche aus ihrer Sicht die US-Regierung zu sehr mitbestimmt, zu entgehen. Auch Indonesien hat jüngst angekündigt seine ausstehenden Verbindlichkeiten beim IWF in Höhe von 8 Milliarden Dollar binnen zweier Jahre vorzeitig zu begleichen.
In Lateinamerika wie Asien greifen zudem regionale Finanzreservevereinbarungen. Die im Jahr 2000 gegründete Chiang Mai Initiative mit 13 asiatischen Ländern (darunter China, Japan und Südkorea) ist quasi ein „Asiatischer Währungsfonds“. Der Fonds für Lateinamerikanische Reserven spielt ebenfalls eine relevante Rolle dafür, die traditionelle Beistandsfunktion des IWF bei Wechselkurs- und Zahlungsbilanzschwierigkeiten einzelner Länder in Frage zu stellen. Von den früheren Hauptkunden des IWF ist derzeit nur noch die Türkei mit Verbindlichkeiten von 13 Milliarden USDollar übrig.
Diese Nachrichten sind an sich sehr erfreulich. Aber sie brachten den IWF in eine Bredouille. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der vormalige Hüter ausgeglichener Zahlungsbilanzen nun selbst in einer Finanzkrise steckt, weil die großen Schwellenländer ihn nicht mehr brauchen – und entsprechend weniger Kredite bedienen müssen. Ohne schnelle Abhilfe wird der Fonds sich bald selbst verschulden müssen. Er speist sich – das Modell drückten die Industrienationen in den 70ern durch, weil sie keine laufenden Beiträge mehr zahlen wollten – aus Gebühren (spreads) für Strukturanpassungskredite an Schwellenländer. Damit werden auch die Tätigkeiten des Fonds im Bereich Kapazitätsbildung und Überwachung bezahlt. Die Kreditnehmer haben also bisher den Apparat finanziert.
Bereits im laufenden Jahr steht der IWF vor einem Budgetloch von rund 110 Millionen Dollar, bis 2009 könnte es auf 300 Millionen Dollar steigen. Optionen sind nun, Gebühren für IWF-Beratung zu erheben, Goldreserven zu verkaufen, Währungsreserven des Fonds am Kapitalmarkt anzulegen oder zu Zuschüssen von reichen Ländern zurückzukehren.
Reformideen gehen nicht weit genug
Die mittelfristige Strategie de Ratos zielt darauf ab, für den IWF Relevanz und systemische Bedeutung zurückzugewinnen. Beides wird jedoch nur durch ein radikal anderes, von den Industrienationen unterstütztes Mandat möglich sein. An und für sich ist der Ansatz des IWF-Managements lobenswert, seine multilaterale Überwachungsfunktion zu stärken. Dafür wünscht der IWF einen multilateralen Konsultationsmechanismus mit systemisch wichtigen Mitgliedsländern und sogar regionalen Gruppen wie der EU oder ASEAN über die gewohnten bilateralen Gespräche hinaus. Das weist in die richtige Richtung, weil selbstverständlich Ungleichgewichte im globalen Wirtschaftssystem nicht wegen des isolierten Handels einzelner Nationen entstehen.
Multilaterale Konsultationen bleiben aber zahnlos, solange das grundlegende Problem fehlender Durchsetzungs- und Sanktionsfähigkeit des IWF nicht angegangen wird. Der Fonds darf zwar systemische Missstände wie das unhaltbare Doppeldefizit in Leistungsbilanz und Haushalt der USA oder die unproduktive Anhäufung von riesigen Geldreserven in Asien anprangern und zu besserer internationaler Kooperation aufrufen. Derlei tut er meist in technisch-abstrakter Fachsprache. Er hat aber kein Mittel, um Missetäter, welche die Stabilität des Weltwirtschaftssystems gefährden, zur Änderung ihrer egoistisch motivierten Finanz- und Wirtschaftspolitik zu zwingen.
Der IWF schlägt zudem vor, er könne Wechselkurse, Finanzmärkte, makroökonomische Risiken und Herausforderungen der Globalisierung besser überwachen und technisch analysieren. Im Prinzip ist auch das unterstützenswert, setzt aber den politischen Willen der einflussreichen Mitgliedsstaaten voraus, sich überwachen und zur Rechenschaft ziehen zu lassen. An beidem sind Zweifel angebracht.
In jedem Fall aber bedürfen die makroökonomischen Kriterien, die der IWF anwendet, kritischer Überprüfung. Die neoliberale Leitdoktrin des IWF ohne Berücksichtigung alternativer Vorschläge darf nicht seine Handlungsgrundlage bleiben. Seine verbohrte und unpragmatische Herangehensweise an die Finanzkrisen der späten 90er Jahre hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich ökonomisch erstarkte Schwellenländer von Brasilien bis China von ihm abgewendet haben. Der IWF wird wegen seiner Rezepturen gefürchtet, die Kapitalverkehrskontrollen ausschließen, aber rigide Stabilisierungspolitik fordern – auch zu Lasten von Sozialprogrammen und politischer Stabilität. Da Deutschland zu den einflussreichsten IWF-Mitgliedern gehört, sind Bundesregierung und Bundestag gefordert, sich öffentlich mit der Aufgabenstellung des IWF zu beschäftigen.
De Ratos mittelfristige Reformstrategie erkennt die Realität an, dass Schwellenländer sich auf globale Finanzmarktrisiken anders als früher einstellen. Er will IWF-Großkredite für Schwellenländer berechenbarer und in Dauer und Anwendung flexibler machen (nicht nur bei Währungskrisen). Darüber hinaus soll es Finanzanreize zur schnellen Rückzahlung geben. Auch soll ein neues Instrument namens „High-Access Contingent Arrangement“ makroökonomisch stabilen Schwellenländern im Krisenfall rasch und relativ auflagenfrei Zugang zu dem dreifachen ihrer IWF-Quote verschaffen. Wie attraktiv die Schwellenländer derlei finden, bleibt abzuwarten. Ein Vorläufer des neuen Instruments, die Contingent Credit Line (CCL), wurde nach wenigen Jahren abgeschafft, ohne auch nur einmal aktiviert worden zu sein. Schwellenländer nutzten sie nicht, um kein Signal der Schwäche an internationale Finanzmärkte auszusenden. Unklar ist ohnehin noch, ob die Industrienationen bereit sind, über allgemeine Quotenerhöhungen die Finanzierung dieses Instruments mitzutragen.
Der symbolträchtigste und wichtigste Schritt einer IWF-Reform, um die Schwellenländer einzubinden, wäre aber zweifellos, diese im Fonds fairer und mit größerem Gewicht zu repräsentieren. Die Industrienationen stimmen dem grundsätzlich zu. Sollten sie im September entscheiden, die Stimmanteile der systemisch wichtigen Schwellenländer China, Türkei, Südkorea, Mexiko und möglicherweise Singapur umgehend zu erhöhen, wäre das kein altruistischer, sondern ein eigennütziger Schritt. Ihr exklusiver Siebener-Club kann nämlich globale Risiken nur noch begrenzt regeln. Das Versprechen, die IWF-Quoten der besonders augenfällig unterrepräsentierten Länder zu erhöhen, erkennt diese Tatsache an. Zudem sichert nur mehr Einfluss der Schwellenländer im IWF deren weitere Kooperation mit dem IWF – und folglich dessen Überleben. Für die G7-Staaten war diese Institution bisher eines der wichtigsten Instrumentarien für die Durchsetzung ihrer Wirtschaftsinteressen weltweit.
Es steht allerdings dahin, ob die simple Erhöhung der IWF-Stimmanteile das gewünschte Engagement wichtiger Schwellenländer sichern kann. De Ratos Zwei-Stufen-Plan berücksichtigt Indien und Brasilien in der ersten Phase noch gar nicht. Um wieviel die Stimmanteile der oben genannten vier oder fünf Schwellenländer von ihrem gegenwärtig lächerlich geringen Anteil angehoben werden sollen, ist noch offen. China hält gegenwärtig nur drei Prozent der Stimmenanteile, Indien weniger als zwei Prozent und Südkorea nur 0,75 (zum Vergleich, die Quote Österrreichs beträgt 0,87).
Es bliebe also noch ein weiter Weg, bis Dominanz der Industrienationen im IWF wirklich verringert würde, selbst wenn de Rato im Herbst die erhoffte Zustimmung für den zweiten Reformschritt bekäme, die historisch überholte Quotenformel des IWF zu korrigieren.
Sie reflektierte übrigens von Anfang an mehr globalpolitische als rein weltwirtschaftliche Kräfteverhältnisse. Egal ob zukünftig nach Bruttoinlandsprodukt oder – wie von den Schwellenländern favorisiert – nach Kaufkraftparität berechnet: Bei jeder Formelumschreibung auf Grundlage der Wirtschaftskraft behalten die USA (derzeitiger Anteil an der Weltwirtschaft rund 30 Prozent) als größter IWF-Anteilseigner zumindest ihre derzeitige Sperrminorität (17 Prozent), die eine Änderung der IWF-„Verfassung“ (articles of agreement) unmöglich macht.
Es ist also fraglich, ob die vorgeschlagenen Reformen reichen, um die verlorene Glaubwürdigkeit des IWF gegenüber aufstrebenden Schwellenländern zurückzugewinnen. Ähnlich steht dahin, ob der Fonds mit seinem schwachen Mandat und seinem Selbstverständnis als „unpolitische“ Organisation die nötige Durchsetzungskraft gewinnt, um globale Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft zu bekämpfen. Sowohl was politische Richtlinien als auch was die Finanzen angeht, bleibt der IWF von den Mitgliedsländern abhängig.
Das Reformvorhaben muss zudem im Kontext der Reform seiner Zwillingsschwester, der Weltbank, gesehen werden. Sie steckt, wenn auch weniger deutlich sichtbar, in einer ähnlichen Legitimations- und Finanzkrise. Auch sie spürt das sinkende Interesse der wichtigen Schwellenländer und die begründete Kritik am geringen Erfolg ihrer makroökonomischen Rezepte.
Die mittelfristige Strategie de Ratos bemüht sich zwar um erste, teils recht zaghafte Reformschritte. Viele der großen Fragen bleiben aber unbeantwortet. Von einem klaren Bruch mit der Vergangenheit und einem radikalen Neuanfang unter Einschluss der Schwellenländer kann keine Rede sein.
Keine Rücksicht auf die Ärmsten
In der Debatte über die IWF-Reformdebatte bleiben ohnehin die armen Entwicklungsländer bisher ganz auf der Strecke. Ihr Stimmanteil ist bisher verschwindend gering. 43 Staaten südlich der Sahara kommen zusammen nur auf 4,4 Prozent. Für die ökonomisch schwachen Länder, die Mehrheit der IWF-Mitglieder also, kommt es vor allem auf die Basisstimmrechte (basic votes) an, die jedem Land unabhängig von seinem Anteil an der Weltwirtschaft zustehen. Statt ehemals elf Prozent, machen diese Stimmrechte heute aber nur noch 1,7 Prozent aus. Anders formuliert: Die Entwicklungsländer wurden seit IWF-Gründung kontinuierlich geschwächt. Eine Verdopplung der Basisquote wäre, wie Kenner munkeln, das höchste, dem die USA zustimmen würden. Solch ein Schritt hätte allenfalls kosmetische Wirkung – wenn das Thema denn in Singapur überhaupt auf die Tagesordnung kommt.
Wichtiger wäre für die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) ohnehin eine Reform der Sitzverteilung im Verwaltungsrat des IWF, wo die Europäer mit acht von 24 Sitzen (es sind genaugenommen sogar zehn, wenn die gemischten Constituencies aus Entwicklungs- und Industrieländern mitgezählt werden) extrem überrepräsentiert sind. Die Schaffung eines einzigen Sitzes für die Länder der Euro-Zone, wie es das Europäische Parlament in einer Resolution jüngst gefordert hatte, würde einige Vorstandssitze für Entwicklungsländer öffnen. Das Ziel bleibt aber bis auf weiteres illusorisch. De Ratos Strategiepapier, das im Blick auf Entwicklungsländer am schwächsten ausgefallen ist, sieht in den nächsten Jahren keine Reform des IWF-Verwaltungsrats vor.
Der Fonds will, wenn es nach de Rato geht, gegenüber den Entwicklungsländern vor allem seine Überwachungsaufgaben verstärken. Er würde noch stärker als bislang als „Gralshüter“ mit Signalwirkung fungieren, der Industrienationen mitteilt, ob ihre Entwicklungshilfe – im neoliberalen Sinne – richtig absorbiert und eingesetzt werden kann, um beispielsweise die Millenniumentwicklungsziele zu erreichen. Jedenfalls setzt der Fonds weiter explizit auf die Erreichung von Armutsreduzierung durch Handel und privatwirtschaftlich dominiertes Wirtschaftswachstum – gerade so, als hätte seine ideologische Rigidität in den vergangenen 20 Jahren in Afrika und Lateinamerika Armut und wachsende Dis paritäten verhindert. Stattdessen bräuchten die ärmsten Entwicklungsländer – wie im übrigen auch die Schwellenländer, deren Spitzenleuten das durchaus klar ist – weniger Dogma und mehr wirtschaftspolitischen Spielraum. Beim aktuellen Reformanlauf ist das aber kein Thema.
Barbara Unmüßig ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung.
Liane Schalatek ist stellvertretende Direktorin des Washingtoner Büros der Heinrich-Böll-Stiftung.