Verbrechen gegen die Menschheit

Lesedauer: 10 Minuten

Von Ralf Fücks

19. März 2008
Konferenz: 3. - 5. November, Berlin

Die Befreiung des KZ Auschwitz liegt gut 60 Jahre zurück. Aber die Geschichte des Holocaust ist nicht abgeschlossen – weder ist dieser Zivilisationsbruch aus den Erinnerungen und Emotionen der Menschheit in die Archive der Historiker gesunken, noch war die Realgeschichte des Völkermords mit dem Untergang des Nationalsozialismus beendet.

Die genozidale Erfahrung ist ebenso ein Erbe des 20. Jahrhunderts wie die politische Antwort auf diese Bedrohung: der globale Vormarsch der Demokratie und die Proklamation der universellen Menschenrechte.
Insofern war dieses Jahrhundert beides: eine Epoche der Barbarei und eine Periode der Zivilisierung der Welt. Beide Tendenzen liegen bis heute im Kampf miteinander. Das aktuelle Beispiel des Sudan unterstreicht die Notwendigkeit einer internationalen Verständigung über Genozidprävention und – falls es nicht gelingt, die Eskalation der Gewalt zu verhindern – über angemessene Interventionsmaßnahmen.
Die Vereinten Nationen müssen dabei eine zentrale Rolle spielen, wenn sie ihrem Kernauftrag gerecht werden wollen, die Menschenrechte zu schützen. Nichts ruiniert die Autorität der UN so sehr wie eine passive und opportunistische Haltung gegenüber Völkermord. Es gibt eine "Responsibility to protect" für die internationale Staatengemeinschaft, wenn Regierungen sich als unfähig erweisen, das Leben ganzer Volksgruppen zu schützen – oder wenn die Staatsmacht gar selbst zum Täter wird.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat sich in den letzten beiden Jahren intensiv mit der Reform der Vereinten Nationen und neuen Konzepten des Völkerrechts befaßt. Ein Ergebnis dieser Arbeit ist das Memorandum "Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt", das auch auf unserer Website https://www.boell.de/un dokumentiert ist. Auch wenn die Sondergeneralversammlung zur Reform der Vereinten Nationen im Ansatz stecken geblieben ist, bleibt die Herausforderung, die supranationalen Institutionen zu stärken, die eine Garantierolle für die Menschenrechte spielen können.
Eine zentrale Lektion aus der jüngeren Geschichte des Völkermords ist, daß er vorrangig innerhalb "souveräner Staaten" stattfindet, sei es im Rahmen von Bürgerkriegen oder als staatlich organisierter Massenmord an Teilen der eigenen Bevölkerung. Das gilt für den Genozid an den Armeniern wie für die folgenden Tötungsorgien in Kambodscha, in Ruanda oder in Dharfur, und es gilt zumindest partiell auch für die Ermordung von Juden, Homosexuellen und Roma durch den Nationalsozialismus.
Diese Konferenz verknüpft den wissenschaftlichen Diskurs zur Genese und Verlauf von Genoziden mit der politischen Frage nach den Möglichkeiten und Instrumenten der Prävention und Intervention. Was können Staaten, was kann aber auch die Zivilgesellschaft tun, um das Umschlagen von ethnischen, religiösen oder sozialen Konflikten in genozidale Gewalt zu verhindern?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, muß man verschiedene historische Formen des Völkermords miteinander vergleichen. Vergleichen heißt nicht gleichsetzen. Es ermöglicht gerade, Unterschiede herauszuarbeiten.
Ob es möglich ist, auf dem Weg der wissenschaftlichen Analyse gänzlich die Genese und Dynamik von Genoziden zu erhellen und zu verstehen, was Menschen dazu bringt, andere Menschen planmäßig auszurotten, oder ob doch angesichts der Ungeheuerlichkeit dieser Gewalthandlungen ein Rest bleibt, der allenfalls mit den Methoden der Kunst zu erfassen ist, mag offen bleiben.
Wir wissen aber inzwischen genug, um Völkermord nicht als ein Verhängnis zu sehen, das gleich einer Naturgewalt über die Menschheit hereinbricht, sondern als einen bewußt ins Werk gesetzten Prozeß, der sich frühzeitig erkennen und bekämpfen läßt – wenn der politische Wille dazu vorhanden ist.
Der fundamentalen Kritik der Verfaßtheit der Moderne, die das Potential genozidaler Gewalt in sich birgt, steht der Versuch gegenüber, kategoriale Beschreibungen für Völkermord zu finden. Mit der Begegnung der beiden bedeutendsten Denker dieser beiden Richtungen, Zygmunt Bauman und Henry Huttenbach, beginnen wir heute abend.
In der weiteren Abfolge der Konferenz wird der Versuch unternommen, Völkermord an seinen jeweiligen historischen Ort und seine gesellschaftlichen Bedingungen zurück zu binden. Jeder Genozid muß in seinem spezifischen Kontext erfaßt werden. Dazu gehört auch die Analyse seiner ideologischen Triebkräfte. Wir stoßen dabei auf Weltanschauungen, die eine Höher- und Minderwertigkeit von Menschen postulieren und dem anderen seine Menschenwürde absprechen. Die Dehumanisierung der potentiellen Opfer ist eine zentrale Bedingung für organisierten Massenmord. Auch die Beschwörung eines Kampfs auf Leben und Tod und das Versprechen einer helleren Zukunft durch Reinigung des Landes von den Feinden des Volkes, der Nation oder der Rasse findet sich immer wieder als ideologische Rechtfertigung des Völkermords.
Im nächsten Teil der Tagung befassen wir uns mit der Ächtung, Verhinderung oder Ahndung von Völkermord durch international verbindliche Rechtssysteme und Mittel zu ihrer Durchsetzung. Dazu zählen das Völkerrecht mit der Möglichkeit der bewaffneten Intervention gegen Völkermord, der Internationale Strafgerichtshof, regierungsunabhängige Organisationen zum Schutz der Menschenrechte ebenso wie eine internationale Öffentlichkeit, die notfalls Druck auf die politischen Instanzen ausüben kann, der Eskalation der Gewalt nicht tatenlos zuzusehen oder sie sogar noch mit Waffen und Geld zu schüren.
Schließlich befassen wir uns mit Erinnerungsarbeit und Geschichtspolitik. Historische Aufarbeitung dient dazu, die Opfer in ihr Recht zu setzen, aber auch Ursachenforschung durch die Auseinandersetzung mit den Tätern zu befördern.
Die Konferenz endet mit einer Diskussionsrunde zu den Handlungsmöglichkeiten auf suprastaatlicher, nationaler, gesellschaftlicher und individueller Ebene.
Anschließend zeigen wir noch den Film: "Sometimes in April" zum Völkermord in Ruanda (am Samstag, 17:30 h in diesem Raum).
Eine so vielfältige, internationale Konferenz ist das Produkt vieler Köpfe und Hände.
Unseren Kooperationspartnern danke ich für die gute Zusammenarbeit, namentlich Rolf Hosfeld, Peter-Weiß-Stiftung, und Beate Ziegs, European Network of Genocide Scholars.
Auf Seiten der Heinrich-Böll-Stiftung zeichnet Marianne Zepp für Konzeption und Koordination der Konferenz verantwortlich.
Das Kongressmanagement besorgten Andrea Peschel, Michaela Birk und Eike Botta.
Die Öffentlichkeitsarbeit liegt bei Vera Lorenz.
Last not least sorgt unser Tagungsbüro für die praktische Organisation, die Technik und die Bewirtung.
Allen Beteiligten möchte ich herzlich für ihre Arbeit danken, und allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wünsche ich eine interessante, lehrreiche und weiterführende Tagung.


Die genozidale Erfahrung ist ebenso ein Erbe des 20. Jahrhunderts wie die politische Antwort auf diese Bedrohung: der globale Vormarsch der Demokratie und die Proklamation der universellen Menschenrechte.
Insofern war dieses Jahrhundert beides: eine Epoche der Barbarei und eine Periode der Zivilisierung der Welt. Beide Tendenzen liegen bis heute im Kampf miteinander. Das aktuelle Beispiel des Sudan unterstreicht die Notwendigkeit einer internationalen Verständigung über Genozidprävention und – falls es nicht gelingt, die Eskalation der Gewalt zu verhindern – über angemessene Interventionsmaßnahmen.
Die Vereinten Nationen müssen dabei eine zentrale Rolle spielen, wenn sie ihrem Kernauftrag gerecht werden wollen, die Menschenrechte zu schützen. Nichts ruiniert die Autorität der UN so sehr wie eine passive und opportunistische Haltung gegenüber Völkermord. Es gibt eine "Responsibility to protect" für die internationale Staatengemeinschaft, wenn Regierungen sich als unfähig erweisen, das Leben ganzer Volksgruppen zu schützen – oder wenn die Staatsmacht gar selbst zum Täter wird.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat sich in den letzten beiden Jahren intensiv mit der Reform der Vereinten Nationen und neuen Konzepten des Völkerrechts befaßt. Ein Ergebnis dieser Arbeit ist das Memorandum "Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt", das auch auf unserer Website https://www.boell.de/un dokumentiert ist. Auch wenn die Sondergeneralversammlung zur Reform der Vereinten Nationen im Ansatz stecken geblieben ist, bleibt die Herausforderung, die supranationalen Institutionen zu stärken, die eine Garantierolle für die Menschenrechte spielen können.
Eine zentrale Lektion aus der jüngeren Geschichte des Völkermords ist, daß er vorrangig innerhalb "souveräner Staaten" stattfindet, sei es im Rahmen von Bürgerkriegen oder als staatlich organisierter Massenmord an Teilen der eigenen Bevölkerung. Das gilt für den Genozid an den Armeniern wie für die folgenden Tötungsorgien in Kambodscha, in Ruanda oder in Dharfur, und es gilt zumindest partiell auch für die Ermordung von Juden, Homosexuellen und Roma durch den Nationalsozialismus.
Diese Konferenz verknüpft den wissenschaftlichen Diskurs zur Genese und Verlauf von Genoziden mit der politischen Frage nach den Möglichkeiten und Instrumenten der Prävention und Intervention. Was können Staaten, was kann aber auch die Zivilgesellschaft tun, um das Umschlagen von ethnischen, religiösen oder sozialen Konflikten in genozidale Gewalt zu verhindern?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, muß man verschiedene historische Formen des Völkermords miteinander vergleichen. Vergleichen heißt nicht gleichsetzen. Es ermöglicht gerade, Unterschiede herauszuarbeiten.
Ob es möglich ist, auf dem Weg der wissenschaftlichen Analyse gänzlich die Genese und Dynamik von Genoziden zu erhellen und zu verstehen, was Menschen dazu bringt, andere Menschen planmäßig auszurotten, oder ob doch angesichts der Ungeheuerlichkeit dieser Gewalthandlungen ein Rest bleibt, der allenfalls mit den Methoden der Kunst zu erfassen ist, mag offen bleiben.
Wir wissen aber inzwischen genug, um Völkermord nicht als ein Verhängnis zu sehen, das gleich einer Naturgewalt über die Menschheit hereinbricht, sondern als einen bewußt ins Werk gesetzten Prozeß, der sich frühzeitig erkennen und bekämpfen läßt – wenn der politische Wille dazu vorhanden ist.
Der fundamentalen Kritik der Verfaßtheit der Moderne, die das Potential genozidaler Gewalt in sich birgt, steht der Versuch gegenüber, kategoriale Beschreibungen für Völkermord zu finden. Mit der Begegnung der beiden bedeutendsten Denker dieser beiden Richtungen, Zygmunt Bauman und Henry Huttenbach, beginnen wir heute abend.
In der weiteren Abfolge der Konferenz wird der Versuch unternommen, Völkermord an seinen jeweiligen historischen Ort und seine gesellschaftlichen Bedingungen zurück zu binden. Jeder Genozid muß in seinem spezifischen Kontext erfaßt werden. Dazu gehört auch die Analyse seiner ideologischen Triebkräfte. Wir stoßen dabei auf Weltanschauungen, die eine Höher- und Minderwertigkeit von Menschen postulieren und dem anderen seine Menschenwürde absprechen. Die Dehumanisierung der potentiellen Opfer ist eine zentrale Bedingung für organisierten Massenmord. Auch die Beschwörung eines Kampfs auf Leben und Tod und das Versprechen einer helleren Zukunft durch Reinigung des Landes von den Feinden des Volkes, der Nation oder der Rasse findet sich immer wieder als ideologische Rechtfertigung des Völkermords.
Im nächsten Teil der Tagung befassen wir uns mit der Ächtung, Verhinderung oder Ahndung von Völkermord durch international verbindliche Rechtssysteme und Mittel zu ihrer Durchsetzung. Dazu zählen das Völkerrecht mit der Möglichkeit der bewaffneten Intervention gegen Völkermord, der Internationale Strafgerichtshof, regierungsunabhängige Organisationen zum Schutz der Menschenrechte ebenso wie eine internationale Öffentlichkeit, die notfalls Druck auf die politischen Instanzen ausüben kann, der Eskalation der Gewalt nicht tatenlos zuzusehen oder sie sogar noch mit Waffen und Geld zu schüren.
Schließlich befassen wir uns mit Erinnerungsarbeit und Geschichtspolitik. Historische Aufarbeitung dient dazu, die Opfer in ihr Recht zu setzen, aber auch Ursachenforschung durch die Auseinandersetzung mit den Tätern zu befördern.
Die Konferenz endet mit einer Diskussionsrunde zu den Handlungsmöglichkeiten auf suprastaatlicher, nationaler, gesellschaftlicher und individueller Ebene.
Anschließend zeigen wir noch den Film: "Sometimes in April" zum Völkermord in Ruanda (am Samstag, 17:30 h in diesem Raum).
Eine so vielfältige, internationale Konferenz ist das Produkt vieler Köpfe und Hände.
Unseren Kooperationspartnern danke ich für die gute Zusammenarbeit, namentlich Rolf Hosfeld, Peter-Weiß-Stiftung, und Beate Ziegs, European Network of Genocide Scholars.
Auf Seiten der Heinrich-Böll-Stiftung zeichnet Marianne Zepp für Konzeption und Koordination der Konferenz verantwortlich.
Das Kongressmanagement besorgten Andrea Peschel, Michaela Birk und Eike Botta.
Die Öffentlichkeitsarbeit liegt bei Vera Lorenz.
Last not least sorgt unser Tagungsbüro für die praktische Organisation, die Technik und die Bewirtung.
Allen Beteiligten möchte ich herzlich für ihre Arbeit danken, und allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wünsche ich eine interessante, lehrreiche und weiterführende Tagung. 


Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.