Alle Welt will den Regenwald retten, doch Bäume fallen nach wie vor

Lesedauer: 8 Minuten

Paradoxien am Amazonas

Von Thomas Fatheuer

Dossier: Klima und Wandel in Amazonien

Der US-amerikanische Milliardär Daniel Ludwig war ein Mann, der strategisch denken konnte. Im Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg sah er die kommende Papierknappheit voraus. Also hieß seine Devise: Bäume pflanzen für die Zelluloseproduktion. Wo sollte das besser funktionieren als in Amazonien? Schließlich bewies der Regenwald das ungeheure Holzpotenzial dieser Gegend. Das unübersichtliche Chaos der verschiedenen Baumsorten, Lianen und Buschwerk war ihm jedoch ein Greuel. Damit war kein Geschäft zu machen. Der Wunderbaum Ludwigs kam aus Asien und heißt Gmelina. Ludwig begann also in den 60er Jahren, den Urwald abzuhacken, um Bäume zu pflanzen. Auf eine Fläche von der Größe Thüringens legte er Straßen an, er importierte eine Zellulosefabrik aus Japan und beschäftigte in Hochzeiten 35.000 Menschen.

Perspectivas Lateinamerika

Die Publikations-Reihe Perspectivas Lateinamerika holt wichtige Debatten und Themen aus Lateinamerika nach Deutschland. Demokratie- und Umweltaspekte, geschlechterpolitische und soziale Fragen, Auswirkungen von Wirtschafts- und Entwicklungsmodellen werden aus Sicht lateinamerikanischer Autoren und Autorinnen kritisch beleuchtet. 

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Ludwigs Projekt scheiterte kläglich -  die Insektenvielfalt Amazoniens ist Gift für große Monokulturen und die geringe Bodenfruchtbarkeit wurde erst nach den massiven Abholzungen deutlich.



Vor vierzig Jahren interssierte sich noch niemand für die Artenvielfalt des Regenwalds, diese Fülle wurde nur als Hindernis für die großflächigen Monokulturen (Plantations) betrachtet. Gegenüber dieser Wahrnehmung des Regenwalds ist die moderne Hochachtung der Biodiversität eine radikale Umdeutung: Das Verwertungshindernis hat sich zum Wert gemausert.



Als die Forschung begann, sich den Regenwald genauer anzuschauen und das Wirrwarr zu klassifizieren, entdeckten sie manches Wunder. So zählte der deutsche Forscher Hans Klinge in den 60er Jahren 500 verschiedene Arten von Holzgewächsen auf einem Hektar in Zentralamzonien. Das ist mehr als die gesamte Artenzahl von Holzgewächsen in Europa.



Aus der Grünen Hölle, der “brütenden Düsternis” (Josef Conrad) wurde binnen kurzer Zeit ein bedrohter Hoffnungsträger der Menscheit. ,,Die Arten sind das genetische Wissen der Erde, die lebenden Bibliotheken und die Grundsubstanz der Evolution. ...Die Vernichtung der tropischen Regenwälder hat einen Genozid in Gang gesetzt, für den es kein Beispiel gibt.” (J. Reichholf  1991) Das sind schwere Geschütze, die auch Wirkung zeigen. Die neu entdeckten Potenziale des Regenwaldes – auch die Klimafrage kam bald ins Spiel – begründeten einen schnellen und fast vollständigen Sieg der Schutzfront. Die Forderung nach dem Schutz der Regenwälder wurde mit rasender Geschwindigkeit in den 80er Jahren zum Mainstream. Das noch von Helmut Kohl initierte Pilotprogramm zum Erhalt der brasilianischen Regenwälder ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Die G7, die Weltbank und die brasilianische Regierung verpflichteten sich 1992 gemeinsam, den Regenwald in Brasilien zu bewahren. Heute führen Weltbank, Entwicklungsministerium und die brasilianische Regierung zusammen mit dem WWF ein ambitioniertes Programm (ARPA) zur Stärkung von Naturschutzgebieten. Angesichts solch mächtiger Allianzen sind fast alle Stimmen verstummt, die Entwicklung gegen Walderhaltung ausspielen.

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Aber wie so oft steckt der Teufel in der Praxis. Wie wäre es sonst möglich, dass trotz des totalen Diskurssieges der Waldbewahrung die Zerstörung des Regenwalds in den letzten zehn Jahren praktisch ungebrochen weiterläuft? Die Lage in Amazonien ist von einer bestürzenden Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen gekennzeichnet. Neben den modernen, wissenschaftlich untermauerten Diskursen der Biodiversität und des Klimaschutz stehen die alten Praktiken des Abbrennens, des Anlegens von Viehwieden und der Ausdehnung von Monokulturen. Nach den Angaben des jüngsten Agrarzensus hat sich in den letzten zehn Jahren die Anzahl der Rinder in Amazonien verdoppelt. Dies ist nirgends als Ziel einer Entwicklungspoltik festgeschrieben, es ist einfach das Resultat gesellschaftlicher Praxis.



,,Diese Sache mit dem Wald bringt doch nichts”, sagt der größte Sojaproduzent Brasiliens, Blairo Maggi (s. Portrait). Er muss es wissen, denn ihn hat die Abholzung des Regenwalds zu einem der reichsten Männer Brasiliens gemacht. Dies ist das Dumme an der Sache mit der Biodiversität: Die bombastischen Versprechungen über den Wert der Artenvielfalt setzten sich nicht in eine unmittelbare ökonomische Verwertung um. Die Ökonomie der Biodiversität ist in Amazonien weitgehend ein Versprechen geblieben. Wer in Amazonien Geld verdienen will, holzt nach wie vor ab. Das ist und bleibt die Regel, aber die Ausnahmen nehmen zu. 



Die Entwicklung der letzten beiden Dekaden hat gezeigt, dass die Bewahrung der Artenvielfalt nicht ohne Ausweitung von Schutzgebieten auskommt. Und hier hat sich tatsächlich Erfreuliches getan. Inzwischen sind 38 Prozent Amazoniens unter speziellen Schutz gestellt, das ergibt die gigantische Fläche von fast zwei Millionen Quadratkilometern. In diese Schutzgebiete passt also Deutschland mehr als fünfmal hinein. Etwas mehr als die Hälfte dieser Schutzgbiete sind Territorien indigener Völker.

Die Bundesstraße 163 soll Santarém, mitten im Amazonas gelegen mit dem Sojastaat Mato Grosso vebinden. Noch sind große Teile der 1760 km langen Strasse in der Regenzeit unpasssierbar. Aber von Santarém aus sind einige Kilometer bereits asphaltiert und eröffnen eine guten Einblick in die Widerprüche des heutigen Amazoniens. Auf der linken Seite der Straße ist das Land der Siedler. Hier gibt es kaum noch Wald. Viehweiden, Sojafelder, Maniokanbau wechseln sich mit entwaldeten, aber nicht genutzen Flächen ab. Auf  der anderen Straßenseite hingegen steht anscheinend intakter Urwald. Der Kontrast ist beeindruckend. Es ist der Nationalwald Tapajós, der hier allen Kahlschlagtendenzen trotzt. Die Kontraste an der Bundesstraße 163 zeigen, dass Schutzgbiete einen Unterschied machen. Aber dennoch teilt die 163 nicht das gute vom schlechten Amazonien.



Der Nationalwald Tapajós ist kein Vorzeigeregenwald, sondern ein Gebiet voll von Konflikten. In ihm leben gut 2000 Menschen in zwanzig Dörfern. Als der Nationalwald zu Zeiten der Militärregierung eingerichtet wurde, sollten alle Bewohner vertrieben werden. Mit der Demokratisierung kam die Idee, den bewohnten Streifen am Flussrand aus dem Nationalwald auszugliedern. Heute wird versucht, die Bewohner in das komplexe Netz von Schutz und Nutzung einzubeziehen.



Diese Entwicklungen sind symptomatisch für die Lernprozesse der letzten Jahre. Die Strategien zum Erhalt des Regenwalds müssen die lokale Bevölkerung miteinbeziehen. Die unberührte Natur ist auch in Amazonien die Ausnahme. Fast überall finden sich indigene Völker und traditionelle Nutzer. Sie sind entscheidende Träger für die Verbindung von Schutz und Nutzen.



Aber heute hat die Umweltverwaltung mehr mit ihren Nationalwäldern vor. Auch große Firmen sollen in die Nutzung eingebunden werden. Am Tapajós wird das für Brasilen neue System des Holzeinschlags durch Lizenzen erprobt. Bisher erfolgt dieser auf privaten Gebieten oder Gebieten mit unklaren Besitzverhältnissen und oft einfach illegal. Durch das Lizenzsystem sollen Firmen die Möglichkeit bekommmen, unter klar definierten Bedinguneg legalen und nachhaltigen Holzeinschlag zu betreiben. Die brasilianische Regierung will durch eine Doppelstrategie das Problem des illegalen Holzeinschlags in den Griff bekommen: einen legalen Sektor fördern und regulieren, den illegalen Holzeinschlag intensiver bekämpfen.



Die Bundesstraße 163 teilt also nicht Wald versus Nutzung, sondern verschiedene Nutzungsformen. Auf den Satellitenbildern wird erkennbar, dass der Nationalwald noch gut erhalten ist. Die Strategie der Ausweitung von Schutzgbieten, die eine Nutzung möglich macht, scheint in die richtige Richtung zu gehen.



Aber auch auf der anderen Seite der Straße ist nicht alles verloren. Das Vordringen von Soja-Anbau und Viehzucht ist kaum mit Biodiversitätsstrategien vereinbar. Aber längst nicht alles Land befindet sich in Händen der Großgrundbesitzer. Gerade etwas abseits betreiben zahlreiche Kleinbauern einen durchaus diversifizierten Anbau. Neuere Forschungen haben die erstaunliche Vielfalt etwa von Maniok-Arten, die von Kleinbauern kultiviert werden, beschrieben.



Diversitätsstrategien müssen den Erhalt der Agrodiversität einbeziehen, also die große Vielfalt traditioneller Pflanzen, die von Kleinbauern angebaut werden. Mit vielen Projekten wurde in den letzten Jahren versucht, diversifizierte Nutzungsstrategien durch Kleinbauern und traditionelle Nutzer zu unterstüzten. Dies schließt ausdrücklich die  Sammeltätigkeiten mit ein.



Die Kautschukzapfer wurden durch den immer noch nicht restlos aufgeklärten Mord des Umweltschützers Chico Mendes international berühmt. Aber in Amazonien findet sich eine ganze Palette von Sammelökonomien: die Nutzung von Nüssen, Ölen, medizinischen Pflanzen. Schließlich gibt es Mischformen, wie die Verdichtung und Nutzung der Açaipalmen, deren Früchte inzwischen die Gesundheitsläden der ganzen Welt erobern.



All diese Nutzungsformen schienen vor vierzig Jahren bloße Überbleibsel einer untergehenden Epoche. Die Neubewertung des Regenwalds durch den Biodiversitätsdiskurs hat den Bewohnern und ihrer Arbeit neue Würde und neuen Wert verliehen. Somit haben Biodiversitäts- und Walderhaltungsstrategien heute nicht nur intellektuelle Befürworter, sie sind von einer bunten Vielzahl traditioneller und lokaler Nutzer aufgegriffen worden. Alle zukünftigen Strategien sollten sich auf diese lokalen Akteure beziehen und kein globales Regime ohne sie etablieren.



In Amazonien steht nach wie vor viel auf dem Spiel. Etwa achtzig Prozent des größten Regenwaldes sind noch erhalten. Die Kombination von Ausweitung von Schutzgebieten mit der Förderung nachhaltiger Nutzung ist ein vielversprechender Ansatz, der angesichts der immensen Größe des involvierten Gebiets weit, weit über die Ebene von Projekten hinausreicht. Dennoch droht dieser Ansatz in eine Sackgasse zu laufen, wenn er nicht in die politischen Prioritäten eingeht. Und hier ist Besorgnis angebracht: Die brasilianische Regierung hat in ihrem ,,Programm zur Beschleunigung des Wachstums” ganz andere Prioritäten gesetzt. Ausbau von Straßen und der Bau von Großstaudämmen verschlingen den überwiegenden Teil der für Amazonien vorgesehen Investitionen. Im Dezember 2007 wurde die Lizenz für ein 3150 MW Kraftwerk am Rio Madeira versteigert. Nach fast dreißig Jahren wird damit wieder ein Großstaudammprojekt in Amazonien in Angriff genommen. Insgesamt sollen in den nächsten Jahren Staudämme mit einer Kapazität von 43 000 MW errichtet werden, das entspricht der Leistung von gut dreißig Atomkraftwerken.



Solche Pläne stehen im Gegensatz zu den Strategien der Walderhaltung. Die Leitlinie ist die industrielle Entwicklung Brasiliens. Hier kommt der Wald nicht vor. Dessen Erhalt ist an das ehrenwerte, aber schwache Umweltministerium delegiert. Es wird noch dauern, bis der Gegensatz zwischen Entwicklung und Schutz endlich aufgehoben sein wird.