Am 27. Dezember 2007 starb die vormalige Premierministerin Pakistans, Benazir Bhutto, bei einem Selbstmordanschlag in Rawalpindi. Was bedeutet ihr Tod für die Zukunft der Demokratie in Pakistan? -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen über und aus Asien.
Eine Hoffnung ist gestorben
„Wir sind bereit, unser Leben zu riskieren. Aber wir sind nicht bereit, Pakistan den Extremisten zu überlassen“, so rief Benazir Bhutto bei jedem öffentlichen Auftritt seit ihrer Rückkehr aus dem Exil am 18.10.07 aus. Und das wiederholte sie auch am Morgen ihres Todestages nach einem Treffen mit Afghanistans Präsident Karzai, der auf Staatsbesuch in Islamabad war: „Die größte Gefahr für Pakistan sind der religiöse Extremismus, sind Taliban und Al Qaida, wir müssen mit Afghanistan zusammen gegen diese Elemente kämpfen“, sagte sie und brach sofort danach zur Wahlkampfveranstaltung ins benachbarte Rawalpindi auf. Dort fand sie am 27.12.07 bei einem Selbstmordanschlag den Tod.
Seit Monaten gab es die Drohung, die „Amerika–Freundin und Feindin Pakistans“ hinzurichten. Wenn nun Meldungen bestätigt werden, dass sich das Terrornetzwerk Al Quaida zu dem Anschlag bekannt hat, wäre das neu für ein Land wie Pakistan, das allein in diesem Monat Dezember 2007 von 11 anonymen Selbstmordanschlägen erschüttert wurde. Es würde andererseits aber auch für eine gewisse Klarheit sorgen: zum einen in dem Sinne, dass die Spekulationen und Gerüchte um eine Verwicklung des pakistanischen Staatsapparats entkräftet wären. Und andererseits würde das Bekenntnis schlagartig beleuchten, dass militante Neo-Taliban und Al Qaida tatsächlich versuchen, den Staat Pakistan ins Chaos zu bomben und den säkularen und liberalen Personen und Institutionen den offenen Krieg erklärt haben.
Und der pakistanischen Gesellschaft würde diese Tatsache letztendlich eine Entscheidung darüber abverlangen, ob sie den Kampf gegen militante Gotteskrieger auch als einen Überlebenskampf in ihrem ureigenen Interesse ansieht oder nicht. Denn auf dem Nährboden eines großen gesellschaftsübergreifenden Antiamerikanismus gibt es zumindest in Teilen der Islamischen Republik Pakistan eine klammheimliche Sympathie mit den muslimischen Taliban. Lange Zeit hat man die Anschläge der Neo-Taliban in Afghanistan nur als dortigen Aufstand gegen die USA interpretiert. Seit einem Jahr allerdings hat die Zentralregierung Pakistan in den an Afghanistan grenzenden Stammesgebieten und in Dutzenden Distrikten der Nordwestgrenzprovinz die Macht an die pakistanischen Ableger der Taliban verloren. Vor drei Wochen erst haben sich einzelne Talibanführer mit Al Quaida und Lokalfürsten nach afghanischem Muster zu einem Befreiungsbündnis zusammengeschlossen. Sie wollen die „Feinde Pakistans“ vertreiben – und feindlich ist nach der Ideologie dieser Gotteskrieger jegliches liberale Gedankengut, jedes Abweichen von den Normen der Scharia und jegliche Aussicht auf einen demokratisch säkularen Wandel.
Der Entscheidung zwischen moderat-aufgeklärter Moderne und islamisch-fundamentalistischen Ideologien wird sich Pakistan stellen müssen. Erst recht nach diesem katastrophalen Rückschlag auf dem Wege zu behutsamer Transformation nach Jahren der Militärherrschaft. Jedenfalls dann, wenn die Hoffnungen der letzten Monate nicht getrogen haben sollten. Es waren begründete Hoffnungen, dass es einem parteiübergreifenden Bündnis von Richtern und Anwälten, von sich langsam politisierender Studentenschaft und endlich verantwortlich denkenden elitären Intellektuellen gelingt, einen selbstbewussten zivilen Gegenentwurf zur Normalität gewordenen Militärherrschaft zu zeichnen.
Und für diese zivilgesellschaftlichen Kräfte war Benazir Bhutto immer noch eine anerkannte Identifikations- und Integrationsfigur – trotz aller Vorbehalte ob ihres Opportunismus, ihres Machtstrebens und der massiven Korruptionsvorwürfe aus früheren Regierungszeiten.
Es gibt in diesen Tagen wenige Gewissenheiten in Pakistan – außer derjenigen, dass mit dem Tod Benazirs die das Land jahrzehntelang mitprägende Dynastie der Bhutto-Familie vorüber ist. Und so könnte leider auch die von Benazir Bhuttos Vater gegründete Pakistan Peoples Party am Ende sein, denn die auf Lebenszeit gewählte Präsidentin Benazir hat niemand neben sich geduldet. Es gibt daher keine nachgewachsene neue Führungsgeneration. Dieses Schicksal teilt die Partei mit der anderen großen Oppositionspartei PML-N um Nawaz Sharif.
Traurige Gewissheit ist auch, dass eines der dramatischsten Jahre in Pakistans junger Geschichte genauso blutig und gewalttätig zu Ende geht, wie es angefangen hat. Die Bombenanschläge in Peschawar im Januar, die Straßenschlachten in Karachi im Mai, die Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad im Juli und vor allem der 18. Oktober, dem mit 180 Toten bisher folgenreichste Anschlag am Tag der Rückkehr Benazir Bhutto aus dem Exil, haben den Eindruck vom einem der gefährlichsten und fragilsten Staaten der Welt im Jahre 2007 bestimmt.
Es bleibt nur zu hoffen, dass eine Aussage des neuen Generalstabschefs Ashfaq Parvez Kayani nicht zur düsteren Prophezeiung für das kommende Jahr werden wird: Kurz nach seiner Amtseinführung Anfang Dezember sprach er davon, dass 2008 „The Year of the Soldier“ in Pakistan werden müsse. Noch ein Jahr geprägt von Soldaten – nach Jahrzehnten von Militärherrschaft und Kriegsrecht sind das nicht die besten Aussichten für das neue Jahr.
Mehr Informationen:
- Deutschlandfunk: Interview mit Gregor Enste vom 28.12.2007 (Audio on Demand)