Die Menschen in Deutschland stehen hinter der Energiewende. Doch das Projekt gerät ins Stocken. Dafür wird insbesondere die Politik verantwortlich gemacht - weniger die Energieversorger oder Bürgerproteste.
Stefanie Groll kommentiert die Ergebnisse des BDEW-Energiemonitors 2018.
Kohlestrom wird unwichtiger – auch bei SPD-Anhänger/innen
Die guten Nachrichten zuerst: Die Energiewende hat in Deutschland weiterhin einen hohen Rückhalt. Eine große Mehrheit wünscht sich einen vermehrten Einsatz von Sonnenenergie und Windenergie sowie einen geringeren Einsatz von fossilen Brennstoffen.
Kohle wird zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit von 63 Prozent nicht als notwendig erachtet. Gut ein Drittel denkt, Kohle sei wichtig für eine sichere Stromversorgung in Deutschland. Interessanterweise glauben sogar jeweils 75 Prozent der Anhänger/innen von SPD und Linke, dass Kohle ersetzt werden kann (Grüne 76 Prozent).
Es geht zu langsam voran
Die weniger guten Nachrichten: Die Menschen werden zunehmend skeptisch. Die Mehrheit ist der Meinung, dass die Energiewende „weniger gut“ bis „gar nicht gut“ vorankommt. Diesen Befund würden auch viele Expert/innen unterschreiben.
Auf der Habenseite der Energiewende stehen der Ausbau der Solar-Photovoltaik, hohe Versorgungssicherheit, gesicherte Reservemarge, Ausbau der Transportnetze und robuste Beschäftigungsentwicklung in der Energiebranche.
Auf der Sollseite stehen: eine dicke Klimaschutzlücke im Stromsektor, Primärenergiebedarf und Stromverbrauch hinken den Reduktionszielen hinterher, der Ausbau und die Anbindung von Windparks kommt nicht wie geplant voran.
Im Koalitionsvertrag gibt es zwar ein Bekenntnis zu den Klimazielen 2020, diese wurden aber inzwischen mehr oder weniger offiziell ad acta gelegt. Das hat auch damit zu tun, dass die Bundesregierung die Erwartungen an die „Kohle-Kommission“ niedrig halten will. Die Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken müsste bis 2020 halbiert werden, die installierte Leistung würde sich von rund 40 Gigawatt auf 20 Gigawatt reduzieren.
Heimischer Strom ist gefragt
Die große Mehrheit der Befragten findet es „sehr wichtig“ und „wichtig“, dass der in Deutschland verbrauchte Strom auch in Deutschland produziert wird. Aufgrund des europäischen Binnenmarktes und grenzüberschreitender Netze gibt es aktuell einen regen Stromaustausch mit den Nachbarstaaten, insbesondere mit der Schweiz, Österreich und den Niederlanden. In 2017 hat Deutschland rund 69 TWh exportiert und ist damit Netto-Stromexporteur.
Zu der Nachfrage nach heimischen Strom passt, dass zwei Drittel der Befragten der Eigenerzeugung und Hausbatterien in zehn Jahren eine sehr wichtige und wichtige Rolle zuschreiben. Hausgemachter und heimischer Strom stehen also hoch im Kurs.Derzeit werden Möglichkeiten und Geschäftsmodelle dafür ausgelotet. Im New Yorker Stadtteil Brooklyn ist das auf etwa zehn Wohnblöcken schon Realität. Die Anwohner/innen sind am "Brooklyn Microgrid" angeschlossen. Sie kaufen und verkaufen auch kleinste Mengen lokal erzeugten Stroms mittels einer App. Das Ganze basiert auf einer Blockchain-Technologie. Eine digitale Watt-Signatur bestätigt, dass der Strom auch wirklich lokal ist. Für diese „home grown power“ und potenzielle Autarkie sind die Leute auch bereit, ein paar Cent mehr zu bezahlen. Es ist unklar, inwiefern das Geschäftsmodell innerhalb von Kiezen und Kommunen in Deutschland angewandt werden könnte.
Apropos Digitalisierung: Mehr Sicherheit, Komfort und Energieeinsparung werden als Vorteile von Smart-Home-Anwendungen angesehen, knapp ein Viertel der Befragten erkennen jedoch gar keinen Vorteil in der Nutzung digitaler Anwendungen. Als Nachteile werden Datenmissbrauch und mögliche Hackerangriffe von 66 Prozent genannt.
Politische Uneinigkeit verzögert Energiewende
Die Befragten vermuten, dass die Energiewende nicht gut vorankommt, weil Finanzierungsprobleme auftreten, es politische Uneinigkeit und nicht genug Leitungen gibt. Zudem ist interessant, dass der Betrieb von Kohlekraftwerken als handfestes Hindernis gesehen wird.
Die politische Uneinigkeit findet aktuell darin Ausdruck, dass zwischen Union und SPD über zwei zentrale energiepolitische Themen gestritten wird: über einen CO2-Preis außerhalb des Emissionshandels (der die Energiewende im Verkehr anreizen könnte) und über den Ausbau der erneuerbaren Energien.Gleichwohl denkt eine Mehrheit der Befragten, dass insbesondere Industrie und Stromerzeuger einen effektiven Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Zwei Drittel geben jedoch auch an, dass private Haushalte einen „sehr großen Beitrag“ oder „großen Beitrag“ leisten können.
Ergänzend zum BDEW-Energiemonitor sind die Umfragen Soziales Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende (IASS) und das Expert/innen-Monitoring der Energiewende (Bundesregierung) interessant.