In einer digitalisierten und zunehmend polarisierten Welt ist die Frage, wie Hassreden eingedämmt und gleichzeitig die Meinungsfreiheit geschützt werden kann, drängend. Internationale Menschenrechtsnormen können bei der Suche nach Antworten helfen.
Die Meinungsfreiheit ist ein Grundpfeiler des Menschenrechts. Sie ermöglicht es Menschen, Informationen zu beschaffen, zu empfangen oder weiterzugeben und den Raum für bürgerschaftliches Engagement zu nutzen. In demokratischen Gesellschaften ist sie unerlässlich, da sie die Rechenschaftspflicht gewährleistet, indem sie es Menschen ermöglicht, frei zu debattieren und Bedenken gegenüber Regierungen zu äußern. Dieses Recht ist in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AMER) geschützt und wurde durch alle bedeutenden internationalen und regionalen Menschenrechtsabkommen Kraft verliehen [1].
In einer zunehmend polarisierten Welt stehen Fragen des Schutzes der Meinungsfreiheit online und der Eindämmung von Hassreden und Missbrauch im Internet im Mittelpunkt der Diskussionen über den Schutz der Menschenrechte on- und offline. Das Recht auf freie Meinungsäußerung hat einen weiten Geltungsbereich: dazu gehören auch Äußerungen, die andere möglicherweise als zutiefst beleidigend empfinden.
Zugleich ist das Recht auf freie Meinungsäußerung kein absolutes Recht; Staaten können es unter bestimmten außergewöhnlichen Umständen einschränken. Alle Einschränkungen müssen jedoch den sogenannten dreistufigen Test bestehen. Dies bedeutet, dass Einschränkungen folgende Kriterien erfüllen müssen:
- sie müssen gesetzlich vorgesehen sein;
- ein legitimes Ziel verfolgen, wie es in Artikel 19 Absatz 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) ausführlich aufgeführt ist; und
- für das verfolgte Ziel notwendig und verhältnismäßig sein.
Darüber hinaus müssen Staaten Reden einschränken, die der Befürwortung von Hass gleichkommt, der aufgrund geschützter Personenmerkmale zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt anstachelt [2].
Diesen Test auf die Online-Welt zu übertragen, wird immer schwieriger.
Meinungsfreiheit im Internet
Digitale Technologien und die Nutzung von Social Media-Plattformen (SMP) haben sich unglaublich positiv auf die Meinungs- und Informationsfreiheit ausgewirkt, die öffentliche Debatte und den Informationsaustausch befördert und den Raum für bürgerschaftliches Engagement gestärkt. In Ländern, in denen traditionelle Medien entweder von Regierungen oder von unternehmerischen Interessen eingeschränkt werden, bieten soziale Medien einen einzigartigen Raum Meinungen kundzutun.
Hassreden und Missbrauch online in SMP sind jedoch zu einem allgegenwärtigen Problem geworden, welches die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Ungleichheiten und Spaltungen widerspiegelt.
Ein extremes Beispiel für die Rolle, die Hassreden und die Aufforderung zu Gewalt im Internet spielen können, sind die jüngsten Gräueltaten gegen die ethnische Gruppe der Rohingya in Myanmar, dies wurde so auch ausdrücklich von UN-Beamten festgestellt, die diese Gräueltaten untersucht haben. In ähnlicher Weise war das Live-Streaming von extremer Gewalt und Terrorismus in sozialen Medien ein wichtiger Aspekt der Angriffe auf die Moschee in Christchurch, Neuseeland, im März 2019.
Dieses und andere Ereignisse haben zu einem wachsenden Druck auf Social Media-Unternehmen geführt, die Inhalte zu kontrollieren, die von ihren Benutzern gepostet und geteilt werden. Die Zensur im Internet wird daher zunehmend privatisiert und SMP werden de facto zu Entscheidungsträger/innen über das, was im Internet als akzeptable Meinungsäußerung gilt. Dies wirft ernsthafte Fragen zum Schutz der Meinungsfreiheit im Internet auf.
Erstens sollten SMP nicht dafür zuständig sein, die Meinungsfreiheit im Internet zu regulieren. Problematisch ist es auch, sie für Inhalte haftbar zu machen, an denen sie nicht beteiligt waren.
Zweitens sind die Praktiken der Inhaltsmoderation von SMP - gemäß ihren eigenen Richtlinien oder Nutzungsbedingungen - ebenfalls problematisch. Oft sind diese Richtlinien nicht ausreichend klar und zugänglich für ihre Nutzer/innen, um einschätzen zu können, was auf der Plattform erlaubt ist und was nicht. Außerdem werden diese in nicht-konsistenter und intransparenter Weise implementiert. Zudem bestehen für Nutzer/innen, deren Inhalt entfernt wird, nur sehr begrenzte Rechtsbehelfe zur Verfügung.
Hassreden im Internet angehen
Das Vorgehen gegen Hassreden und die Moderation von Inhalten im Internet ist komplex. Im Einklang mit den Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte sind marktführende SMP im Allgemeinen dafür verantwortlich, die internationalen Standards bezüglich Meinungs- und Datenschutz einzuhalten, die Auswirkungen ihrer Arbeit auf die Menschenrechte zu bewerten und ihren Nutzer/innen bei Verstößen Rechtsschutz zu bieten. Sie müssen sicherstellen, dass ihre Richtlinien zur Moderation von Inhalten den Bedürfnissen der Opfer von Hass entsprechen, indem sie einen radikal neuen Ansatz zur Transparenz verfolgen und echte Mechanismen für die Rechenschaftspflicht festlegen.
Es gibt eine Reihe von Initiativen die danach streben, die Methoden der Moderation von Inhalten von SMP zu verbessern. Eine davon ist der Vorschlag, sogenannte Social Media-Räte einzurichten, einen neuen mehrere Interessensgruppen umfassenden Mechanismus zur Rechenschaftspflicht für die Moderation von Inhalten.
Es gibt auch unternehmensbezogene Initiativen, die sich mit interner Rechenschaftspflicht befassen, wie z.B. der Facebook-Aufsichtsrat. Es gibt andere aktuelle und neue themenbezogene Initiativen, wie z.B. den Aufruf von Christchurch zur Beseitigung gewalttätiger und extremistischer Inhalte im Internet oder das Globale Internetforum zur Terrorismusbekämpfung (GIFCT).
Diese Initiativen müssen jedoch transparent sein und verschiedene Interessengruppen, einschließlich der Zivilgesellschaft, einbeziehen, um nachhaltige Lösungen für die Herausforderungen im Online-Bereich unter Wahrung der internationalen Menschenrechte zu finden.
Über die Selbstregulierungsmodelle für SMP hinaus haben mehrere Staaten die bestehende Immunität von SMP von Haftungsregelungen geändert oder schlagen vor, diese zu ändern (z. B. Deutschland oder Frankreich).
Das Risiko besteht in der Zunahme unangemessener, vager und zu weit gefasster Gesetze, mit denen versucht wird, Hassreden im Internet durch die Regulierung von Unternehmen anzugehen, was erschreckende Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit hat, und sich nicht mit den Hassreden zugrundeliegenden Ursachen befasst.
Zentral ist, dass Staaten, wenn sie Hassreden im Internet bekämpfen wollen, über den Inhalt im Internet hinausgehen und sich auch darauf zu konzentrieren, sich mit den Hauptursachen für Diskriminierung zu befassen und positive Schritte zu unternehmen, um gesellschaftliche Probleme anzugehen, für die Hass und Missbrauch im Internet symptomatisch sind.
Hass baut auf Angst und Ignoranz auf und deshalb ist mehr Toleranz und effektive Gegenrede die beste Antwort auf Hassreden. Die Bekämpfung von Hassreden erfordert die Unterstützung und den Zugang zu Rechtsbehelfen für Einzelne und Gruppen, die Opfer von Hassreden sind. Die Regierungen müssen Toleranz und Gleichstellung durch Regierungsinstitutionen, wie z.B. Gleichstellungskommissionen, in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, wie z.B. zivilgesellschaftlichen Organisationen, Medien, Religionsführern und anderen gesellschaftlichen Akteuren aktiv fördern.
Bestehende internationale Menschendrechtsnormen, einschließlich des Aktionsplans von Rabat, geben Anleitungen, wie Hassreden in einer der Meinungsfreiheit entsprechenden Weise angegangen werden können. Dies schließt die Forderung an politische und religiöse Führungspersönlichkeiten, Amtsträger/innen und Medien ein, Hassreden nicht nur zu unterlassen, sondern diese auch aktiv abzulehnen und sich gegen diese auszusprechen.
Politiker/innen müssen ihre Verantwortung anerkennen und entsprechend handeln, wie es in der jüngsten Aufruf zum Handeln der UN-Menschenrechtsexpert/innen heißt. Darüber hinaus wird in der Strategie und dem Aktionsplan des UN-Generalsekretärs zur Bekämpfung von Hassreden, die Anfang des Jahres veröffentlicht wurden, betont, dass wirksame Bemühungen zur Bekämpfung von Hassreden sowohl darauf abzielen müssen, die Grundursachen für Hass zu beseitigen, als auch den Bedürfnissen von Hassopfern zu entsprechen. Die Bekämpfung von Hassreden erfordert den Schutz der Meinungsfreiheit, da wir nur durch die Ausübung dieses Rechts auf die am stärksten von Hassreden und Gewalt Betroffenen eingehen und diese unterstützen können.
Weiterführende Informationen:
- Camden Principles on Freedom of Expression and Equality, (2009)
- Hate Speech Explained: A Toolkit, (2015)
- Manila Principles on Intermediary Liability, (2015)
- Tackling Hate: Action on UN standards to promote inclusion, diversity and pluralism- Protecting free speech and freedom of religion or belief for all, (2018)
- Side-stepping rights: Regulating Speech by Contract, (2018)
- Social Media Council, (2018)
- Facebook Community Standards: Analysis against international standards on freedom of expression, (2018)
- Video: Action on UN standards to tackle hate (2019)
[1] Siehe Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), Artikel 9 der Afrikanischen Charta (Banjul-Charta) der Menschenrechte und Rechte der Völker (ACHPR); Artikel 13 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AmCHR) und Artikel 10 der Europäischen Menschen-rechtskonvention (EMRK).
[2] Weitere Informationen zu Typologien von Hassreden sind zu finden bei ARTICLE 19, Hate Speech Explained: A Toolkit, 2015.