Ukraine, 5 Uhr morgens - Eine szenische Lesung mit Musik und Illustrationen

Dokumentation

Die szenische Lesung „Ukraine, 5 Uhr morgens“ reflektiert die Bedeutung der Entwicklungen auf der Krim für die ukrainische Gesellschaft und schlägt den Bogen zum aktuellen Angriffskrieg Russlands gegen das ganze Land.

Weizenfeld

Der 24. Februar 2022 markiert nicht den Anfang des Krieges, sondern einen weiteren Eskalationsschritt in einem langen Konflikt, der bereits vor acht Jahren mit der illegalen Besatzung der Krim und Destabilisierung der Ostukraine durch Russland begann. Die szenische Lesung „Ukraine, 5 Uhr morgens“ stellt die beiden Zäsuren in Zusammenhang und reflektiert die Bedeutung der Entwicklungen auf der Krim für die ukrainische Gesellschaft und den Krieg im ganzen Land.

Stille Landschaft

Auszüge des Theaterstücks:

KRIM, FÜNF UHR MORGENS. DIE NEUESTE GESCHICHTE DER KRIM

     Autorinnen: Natalia Vorozhbyt und Anastasia Kosodii
     Alle Rechte vorbehalten:
Dollmen Theatre Company
     Aus dem Ukrainischen von Lydia Nagel

     Illustrationen: Sofiia Melnyk, Alle Rechte vorbehalten
     Künstlerische Bearbeitung: Marina Schubarth

 

BILD 1

(...) Das ist Veciye Qaşqa. Als Zehnjährige wurde sie auf Stalins Befehl von der Krim nach Usbekistan deportiert.

Das geschah im Jahr 1944 mit allen Krimtataren.

In dem Jahr, als Veciye Qaşqa auf die Krim zurückkehrte, landeten die Menschen zum ersten Mal auf dem Mond.

Sie lebte auf der Krim, als die Sowjetunion zerfiel und andere Krimtataren auf die Halbinsel zurückkehrten.

Sie lebte auf der Krim, als die Halbinsel 2014 von russischen Truppen besetzt  wurde.

Veciye starb auf der Krim, nachdem sie 2017 von russischen Sicherheitskräften in Simferopol festgenommen worden war. Ihr Herz blieb stehen.

Blutiges Gefängnis

BILD 2

Das ist Reshat Ametov. Er wurde in Simferopol geboren und begeisterte sich für Mahatma Gandhis Philosophie des friedlichen gewaltfreien Protests.

Reshat war 39 Jahre alt, als er am 28. Februar 2014 auf Facebook schrieb:

„Am Montag gehe ich wohl zum Ministerrat. Stehprotest.

Wer macht mit“ ?

Am dritten März 2014 verließ er das Haus, ohne seiner Familie etwas zu sagen.

Mittags rief ihn seine Frau auf dem Mobiltelefon an. Er war nicht erreichbar.

Zwölf Tage später wurde Reshat Ametov tot aufgefunden. Sein Kopf war mit Klebeband umwickelt, die Augen ausgestochen, neben ihm lagen Handschellen.

Als Todesursache wurde eine Stichwunde im Auge angegeben.

 

Blumenelement

BRAUTLEUTE

MUMINE SALIEVA.

Er hatte zu mir gesagt: „Meine Frau muss schön singen können.―

Er hat schon als Kind Theater gespielt und immer gern gesungen und getanzt. Ich habe damals zu ihm gesagt: „Also, ich kann dir erst nach der Hochzeit was vorsingen.“

SEIRAN SALIEV. Also, das ist doch irgendwie nicht fair, du kannst doch gar nicht singen.

 

Blumen

Bei den Krimtataren gibt es drei Subethnien. Das sind die Noğaylar im Norden der Krim, sie lebten dort. Dann die Tatlar im Gebirgsvorland im zentralen Teil der Halbinsel.

Und die Yalıboylular, die Krimtataren, die am Meer leben.

Aus diesen Subethnien bildete sich also die krimtatarische Nation und das Gefühl einer gemeinsamen Identität. Alle bezeichnen sich als Krimtataren.

 

Endzeit Landschaft

(Kotbong)

KHALIDE BEKIROVA. Ich habe ein Studium an der Fakultät für Mathematik und Informatik der Taurischen Nationaluniversität begonnen.

Ich bin ins Studentenwohnheim gezogen. Hier, in Simferopol, im dritten Stock.

Und im vierten hat Remzi gewohnt, er war schon damals sehr aktiv und gesellig.

Er hat die Studenten aus dem Wohnheim sehr gern auf Exkursionen mitgenommen. Und irgendwann bin ich dann auch mal mitgegangen, und so haben wir uns kennengelernt. Bei uns war damals die Dusche im Keller und das ganze Wohnheim ist zum Duschen runtergegangen - da hat er auf dem Treppenabsatz jemanden so schön Krimtatarisch sprechen gehört.

(Paul)

REMZI BEKIROV. Und da habe ich mich umgedreht, um zu gucken, wer da so wunderbar die krimtatarische Sprache spricht. Und habe so ein Mädchen gesehen – das warst du. (...)

 

Videomitschnitt der Szenischen Lesung „Ukraine, 5 Uhr morgens“

Ukraine, 5 Uhr morgens - Eine szenische Lesung mit anschließender Diskussion - Heinrich-Böll-Stiftung

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Schauspieler*innen aus dem Deutschen Theater lesen Textauszüge und Tagebucheinträge unter der künstlerischen Leitung von Marina Schubarth. Der erste Teil der Lesung wird musikalisch begleitet und live visualisiert von der Animationskünstlerin Sofiia Melnyk. Aktuelle Beiträge aus dem Kriegstagebuch des Theaterdramaturgen Pavlo Arie kompletieren die Lesung.

 

 

Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Ukrainian Institute, dem Deutschen Theater Berlin, dem Dokumentartheater Berlin  und der Europäischen Akademie Berlin mit Unterstützung der Ukrainischen Botschaft und von YTC Dollmen.