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Marina Silva - grüne Hoffung für Brasilien

Marina Silva als bereits gefeierte grüne Präsidentschaftskandidatin. Foto: Egou Laus
Dieses Foto steht unter einer Creative Commons-Lizenz

20. August 2009
Von Thomas Fatheuer
Von Thomas Fatheuer

Marina Silva, ehemalige Umweltministerin der Regierung Lula, hat heute die Arbeiterpartei des Präsidenten Lula verlassen. Mit dem angekündigten Beitritt zu den Grünen machte sie zudem den Weg frei für ihre grüne Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2010.

Damit hat der Vorwahlkampf in Brasilien einen frühen, überraschenden und erfreulichen Höhepunkt erreicht. Silvas Schritt wird von einer Sympathiewelle begleitet: Sie verkörpert heute die Hoffnung, dass in den verknöcherten und korrupten Strukturen der brasilianischen Politik noch etwas Neues wachsen kann.

Umweltpolitik ohne Vision

In ihrer Austritterklärung schreibt Marina Silva, dass in der jetzigen Regierung eine strategische Vision fehle, die für die zentrale Aufgabe Umweltpolitik notwendig sei. Tatsächlich ist die Umweltpolitik die große Blindstelle der Regierung – und dies soll nach dem Willen des Präsidenten auch so bleiben.

Luiz Inácio Lula da Silva, Lula genannt, darf selbst zwar nicht zur Wiederwahl antreten, hat aber bereits die jetzige Kanzleramtsministerin Dilma Rouseff als Nachfolgerin auserkoren. Dilma koordiniert das “Programm zur Beschleunigung des Wachstums”, ein Thema, welches auch den Wahlkampf der Arbeiterpartei (PT) dominieren soll. Lulas Kandidatin steht für Fortsetzung der erfolgreichen Sozialpolitik und für Wirtschaftswachstum um jeden Preis – und sie ist jeglicher Sympathie für ökologische Fragestellung unverdächtig. Dies gilt auch für den voraussichtlichen Kandidaten des Oppositionslagers José Serra, derzeit Gouverneur des Bundesstaates São Paulo.

Dabei ist die Umweltproblematik in einem Lande wie Brasilien, dessen wirtschaftliche Entwicklung zentral an die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen geknüpft ist, zunehmend in den Mittelpunk der politischen Debatte gerückt, allerdings vornehmlich als Entwicklungshemmnis.

In diese fossilierte Konstellation bringt die mögliche Kandidatur Marina Silvas eine neue Dynamik. Silva ist wohl die einzige populäre Umweltpolitikerin Brasiliens, aber sie verkörpert viel mehr: als ehemalige Kautschukzapferin mitten im Amazonaswald geboren begann sie einen langen Weg, zusammen mit Chico Mendes, dem vor zwanzig Jahren ermordeten Führer der Kautschukzapfer. Für ihren Bundesstaat Acre wurde sie in den Senat gewählt. 2002 ernannte sie Lula zur ersten Ministerin seines neuen Kabinetts, insbesondere wohl um das internationale Ansehen seiner Regierung besorgt.

Silva – das Gewissen der Regierungspolitik

Fünf Jahre lang hielt es Marina Silva in der Regierung aus, wobei sie sich vor allem im Krötenschlucken üben durfte. Schließlich hielt sie die anhaltende Erfolglosigkeit und die Erniedrigungen nicht mehr aus und erklärte im Mai letzten Jahres (während Merkel Brasilien besuchte) ihren Rücktritt. “Man kann mir das Genick brechen, aber man kann mir nicht den Verstand rauben.” 

Doch Marina repräsentiert mehr als das (schlechte) Umweltgewissen der Regierungspolitik. Sie hat ihre Regierungszeit ohne irgendeinen Skandal überstanden. Das ist nicht wenig in einer Zeit, in der ständig neue Affären die Politik erschüttern und somit die allgemeine Desillusionierung noch radikalisieren. Auch die Arbeiterpartei Lulas hat den Glanz des Neuen verloren und erscheint den meisten Brasilianern als nur ein weiterer traditioneller Akteur in einem sinnlosen politischen Spiel. Marina Silva kann den „Sonnenstrahl der Utopie” wieder aufleben lassen, der in der herrschenden Politik längst verloschen ist.

Die Perspektive nach dem Wechsel

Bereits seit geraumer Zeit läuft im Internet eine Kampagne “Marina Presidente”, aber erst der angekündigte Wechsel zur Grünen Partei Brasiliens hat eine konkrete Perspektive eröffnet. Marina, die zur Gründungsgeneration der PT gehört, fiel dieser Schritt nicht leicht. Auch wohl deshalb, weil die Grüne Partei selbst eher ein Spiegelbild der politischen Misere Brasiliens ist als eine Alternative.

Um bei den Wahlen zu überleben, hatten die Grünen ihre Reihen für alle möglichen Politiker geöffnet, wenn sie denn Stimmen brachten. Silva hat deshalb ihren Übertritt zu den Grünen an die Forderung geknüpft, die Partei müsse personell und inhaltlich neu gegründet werden. Wie schwierig dies noch sein wird, machen erste Erklärungen grüner Politiker deutlich. Der einzige grüne Minister (Kultur), Juca Ferreira, ein treuer Wegefährte des populären Gilberto Gil, hat sich für ein Bündnis mit der PT ausgesprochen – und damit gegen eine Kandidatur von Marina Silva bei den Präsidentschaftswahlen. Gleichzeitig verglich er den Vorsitzenden der PV, der Grünen in Brasilien, mit Kim Jong Il: ”Der Präsident der PV ist zusammen mit dem Präsidenten Nordkoreas der Politiker, der am längsten ein Amt inne hat. Wir müssen die Demokratie in der Partei wiederherstellen.”
  
Der Weg zu einer konsolidierten Alternative ist also noch weit. Aber das Signal, das die Kandidatur Silvas aussendet, macht Hoffnung. Offensichtlich ist es heute die Frage der Nachhaltigkeit, die im Mittelpunkt der politischen Debatte stehen müsste. Die etablierten Kräfte haben diese Debatte aber seit Jahren marginalisiert oder gar lächerlich gemacht.  Das heute so keine zukunftsfähige Politik mehr zu machen ist, erkennen immer mehr Brasilianer, zumindest in der politisierten Mittelschicht. Darüber hinaus kann Marina Silva die Frustrierten der Politik ansprechen und verhindern, dass diese ein Beute populistischer Demagogie werden. Wie auch immer es um ihre die Erfolgsaussichten als Präsidentenkandidatin bestellt sein mag, ihre Kandidatur eröffnet die Möglichkeit, dass im brasilianischen Wahlkampf es zu einer wirklichen politischen Debatte kommt.

Dr. Thomas Fatheuer ist Büroleiter des Büros Brasilien der Heinrich-Böll-Stiftung.