Guantanamo zu, alles gut? Von der Ankunft in der Realität

24. Februar 2009
Von Sebastian Gräfe
Von Sebastian Gräfe

Das war ein Paukenschlag. Gleich in der ersten Woche seiner Amtszeit erließ Präsident Obama vier Verfügungen, die alle eines gemein hatten: dem amerikanischen Volk und der Welt sollte deutlich gemacht werden, Folter und Willkür im Umgang mit Gefangenen gehören von nun an der Vergangenheit an. Mit viel Symbolik sollte die Basis gelegt werden, wieder Glaubwürdigkeit im Menschenrechtsdiskurs zu erlangen. Vor allem war es aber das Bemühen, Zeit zu kaufen. Das Gefängnislager Guantanamo wird spätestens in einem Jahr geschlossen. Folter wird nicht mehr als Verhörmethode geduldet. Eine spezielle Arbeitsgruppe erarbeitet Empfehlungen, wie mit den im Lager verbliebenen Gefangenen umzugehen ist.

Schon einen Monat später ist Ernüchterung eingetreten

Vergangenen Sommer noch hatte der Oberste Gerichtshof den Inhaftierten in Guantanamo bestätigt, dass ihnen der Rechtsweg in US-Gerichten zur Anfechtung ihrer Inhaftierung offen steht. Jetzt ließ Obamas Justizministerium verlauten, Gefangenen im afghanischen Lager Bagram genössen nicht diese Verfassungsrechte. Sie befänden sich in einer Kampfzone und würden im Rahmen einer Militäraktion festgehalten. Deshalb wäre ihre Freilassung oder die Einbindung von US-Soldaten in Gerichtsverfahren sicherheitsgefährdend. Menschenrechtsgruppen sind schockiert, auch weil die neue Regierung wiederum die Rechtsposition des unrühmlichen Vorgängers übernimmt.
Erst kurz zuvor bestand das Justizministerium in einem konkreten Verfahren gegen ein Boeing-Tochterunternehmen darauf, einem Gericht aufgrund von vitalen Sicherheitsinteressen Informationen weiterhin vorzuenthalten. Die Firma soll in CIA-Geheimflüge zur außerordentlichen Überstellung von Terrorverdächtigen verwickelt sein. Schon die Bush-Regierung nahm oft lieber in Kauf, ganze Anklagepunkte gegen Terrorverdächtige fallen lassen zu müssen, statt ihrer Meinung nach sicherheitsrelevante Informationen vor Gericht offen zu legen. Der Argumentation scheinen die neuen Hausherren im Einzelfall auch zu folgen. Jedoch sicherten sie eine nochmalige Überprüfung aller der Verfahren zu, bei denen die Herausgabe von Informationen unter Bush verweigert wurde.

Eben bei diesem Instrument der außerordentlichen Überstellung von Terrorverdächtigen wird es auch eine Fortsetzung, wenn nicht sogar Ausweitung geben. Obama verfügte zwar im Januar das Ende der Geheimgefängnisse und der außerordentlichen Überstellungen von Terrorverdächtigen an Länder, in denen möglicherweise gefoltert wird. Aber die Praxis selbst wird auch von Obamas Leuten als unersetzliches Mittel im Antiterrorkampf betrachtet, vorausgesetzt die Verdächtigen seien nur kurzzeitig in der „Obhut“ der CIA. Demgegenüber kritisierte das Europäische Parlament am 19. Februar in einer eigenen Resolution nochmals diese Praxis der vergangenen Jahre. Die EU-Mitgliedsstaaten und der Rat hätten bislang keine Maßnahmen ergriffen, um die Wahrheit über die passive oder aktive Zusammenarbeit verschiedener europäischer Regierungen mit der CIA oder dem US-Militär bei außerordentlichen Überstellungen ans Licht zu bringen.
Und nun hat noch ein von Obama eingeforderter interner Untersuchungsbericht des US-Verteidigungsministeriums erbracht, die Behandlung der Gefangenen in Guantanamo sei inzwischen human und entspräche den Erfordernissen der Genfer Konvention.

Sieht so der versprochene Wandel aus?

Manche Experten haben nichts anderes erwartet. Unruhig wird es unter Menschenrechtsaktivisten. Zeitungskommentatoren erkennen zwar Obamas klare Absage an Folter an, mahnen den neuen Präsidenten jedoch, diese Politik konsequenter im Umgang mit Terrorverdächtigen umzusetzen. Aber Obama erweist sich auch hier als Pragmatiker. Zwar hat er u.a. mit seiner Forderung nach einem Rückzug aus dem Irak die Wahl gewonnen. Aber er machte auch klar, dass es verstärkter militärischer (und ziviler) Anstrengungen in Afghanistan bedarf. Gerade dort wird durch die Ausweitung der Kämpfe die Gefangenennahme von feindlichen Kämpfern ansteigen. Die Schließung Guantanamos wird demnach die Ausweitung bestehender und den Neubau neuer Lager zur Folge haben. Ein zu Bush-Zeiten für Gefangene zuständiger ehemaliger Mitarbeiter des Pentagon meinte kürzlich auf einer Diskussionsveranstaltung mit gewisser Genugtuung, Guantanamo würde an anderer Stelle unter anderem Namen neu errichtet.

Jetzt wird klar: Die öffentliche Debatte über den Umgang mit Gefangenen im Antiterrorkampf hatte sich während des Wahlkampfs zu sehr auf Guantanamo eingeschossen. Think Tanks und Menschenrechtsorganisationen veröffentlichten Dutzende von Empfehlungen, wie das Lager am besten zu schließen und mit den verbliebenen Gefangene umzugehen sei. Aber dachte man wirklich: Guantanamo zu, alles gut? Wann hatte denn Obama gesagt, er wolle den „Global War on Terror“ beenden? Was verleitete die Washington Post dazu, drei Tage nach seiner Amtseinführung gar zu titeln „Bush's 'War' On Terror Comes to a Sudden End“? Hatten wir nicht schon mal „Mission Accomplished“ gehört? Alle waren begeistert, als Obama in seiner Antrittsrede der muslimischen Welt die Hand reichte.

Aber zwei Absätze vorher sagte er auch: „… And for those who seek to advance their aims by inducing terror and slaughtering innocents, we say to you now that our spirit is stronger and cannot be broken. You cannot outlast us, and we will defeat you. …“ Der Late Night Talker John Stewart machte sich sogar in seiner „The Daily Show“ den Spaß, Ausschnitte von Obamas Rede mit Äußerungen von Bush gegenüberzustellen. Das war wahrlich zum Schmunzeln.

Obama wollte Zeit gewinnen

Einen Monat nach Amtsübergabe würde man Obama Unrecht tun, ihm schon jetzt Versagen bei der Neugestaltung einer an Menschenrechten orientierten Außenpolitik vorzuwerfen. Obama wollte mit seinen ersten Verfügungen Zeit gewinnen, um bis zur Schließung Guantanamos nächsten Januar einen internen Klärungsprozess in Gang zu setzen, wie in Zukunft mit Gefangenen im Antiterrorkampf umzugehen ist. Das darf kein interner Klärungsprozess bleiben. Er muss auch mit den Verbündeten in Europa geführt werden. Letztere dürfen sich bei diesen Fragen nicht hinter den USA verstecken sowie unwissend und unbeteiligt tun, wie sie das bei den CIA-Flügen und Geheimlagern getan haben.

Bislang bleibt im Unklaren, wie rechtsstaatliche und an Menschenrechten orientierte Standards im Umgang mit nichtstaatlichen Gewaltakteuren aussehen und als Regeln etabliert werden können. Nach Monaten der Begeisterung und Hoffnung auf Wandel kommen die USA gerade in der Realität an und sind mit schwierigen Fragen konfrontiert. Europa hat schon Guantanamo-Häftlinge aufgenommen und wird das auf US-Bitten nochmals tun - eigentlich eine gute Gelegenheit, sich in die Debatte um Menschenrechte im Antiterrorkampf endlich aktiv einzumischen.


Sebastian Gräfe arbeitet als Programmdirektor für Außen- und Sicherheitspolitik im Washingtoner Büro der Heinrich Böll Stiftung.

Hintergrund:

Menschenrechte sind nicht teilbar - Böll.Thema - Ausgabe 3/2008