Transatlantischer Klimawandel










Die USA steht nach der Wahl von Barack Obama vor einer neuen Ära in der Klimapolitik


14. November 2008

Von Arne Jungjohann


Washington, D.C, 13. November 2008

Von Arne Jungjohann

Schon vor dem 4. November 2008 war klar, dass die Wahl des 44. Präsidenten der USA ein Gewinn für den Klimaschutz sein würde. Selbst John McCain wäre, allen „Drill, Baby Drill!“-Rufen aus dem Wahlkampf zum Trotz, ein Fortschritt gegenüber dem noch-Präsidenten George W. Bush gewesen. Die Wahl von Barack Obama wird in den USA und rund um die Welt mit großen Erwartungen verbunden. Schließlich kontrollieren die Demokraten mit der Wahl nicht nur das Weiße Haus, sondern auch beide Kammern des Kongress: den Senat (57 von 100 Sitzen) und das Repräsentantenhaus (256 von 431 Sitzen). Ein Politikwechsel gegenüber der Bush-Administration wird in vielen Politikfeldern, vor allem aber in der Energie- und Klimapolitik erwartet.

Trotz erkennbarer Risiken und zu erwartenden Rückschlägen kann davon ausgegangen werden, dass mit der Wahl von Barack Obama eine neue Ära in der US-Klimapolitik eingeleitet wird. Doch ist absehbar, dass zunächst die Wirtschafts- und Finanzkrise absolute Priorität genießen und die Klimapolitik mit anderen wichtigen Themen konkurriert. Auch wird der von Barack Obama im Wahlkampf verkündete Politikwechsel nur dann gelingen, wenn er mit dem Kongress kooperiert. Gelingt dies, sind erste Fortschritte in der Energiepolitik zu erwarten. Die Auseinandersetzung zur Einführung des Emissionshandels wird dagegen eine schwere und langwierige Geburt. Die Aussichten auf Erfolg werden auch davon abhängen, ob Schlüsselpositionen im Kongress personalpolitisch richtig besetzt werden können. Die Exekutive, vor allem die Umweltagentur EPA, wird künftig eine zentrale Rolle in der US-Klimapolitik spielen. Doch trotz der sich abzeichnenden innenpolitischen Änderungen ist nicht zu erwarten, dass die USA acht Jahre Stillstand unter George W. Bush in kürzester Zeit aufholen. Der erste Auftritt der neuen US-Regierung in der internationalen Klimadiplomatie droht mit zu großen Erwartungen auf Seiten der Europäer überfrachtet zu werden. Dabei öffnen sich neue Perspektiven transatlantischer Kooperationen. Im folgenden wird analysiert, welche energie- und klimapolitischen Ziele die neue US-Regierung verfolgt, welche Hürden einer Umsetzung dieser Ziele im Wege stehen und welche Aussichten sich daraus für die internationalen Klimaverhandlungen ableiten lassen.

1. Die Wirtschafts- und Finanzkrise überlagert alle anderen politischen Prioritäten

Die wirtschafts- und sicherheitspolitischen Konsequenzen aus der Abhängigkeit von Ölimporten und den hohen Energiepreise haben die Energiepolitik - und im Windschatten davon den Klimaschutz - in den USA mittlerweile als hartes Thema etabliert. Im direkten Vergleich mit ihren republikanischen Konkurrenten wird den Demokraten hier mehr Kompetenz zugeschrieben. Doch muss Obama wie jeder andere Präsident entscheiden, in welche Projekte seiner Amtszeit er politisch begrenztes Kapital investiert. Ganz oben auf der Agenda rangiert die momentan alles überlagernde Wirtschafts- und Finanzkrise. Dort, wo sich Schnittmengen ergeben, wird die Energiepolitik hiervon profitieren. Schließlich geht der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Modernisierung der Stromnetze oder die Umstellung der Autoindustrie auf effiziente Autos einher mit Wachstum und dem Schaffen von Arbeitsplätzen. Als Thema aus eigenem Recht wird es der Klimaschutz bedeutend schwerer haben. Die Außen- und Sicherheitspolitik (Afghanistan, Irak, Iran), aber auch innenpolitische Themen wie Gesundheits- und Steuerreform konkurrieren mit dem Klimaschutz. Wann welche Themen von Obama und dem Kongress mit Priorität verfolgt werden, wird zudem stark von der „politischen Konjunktur“ abhängen.

2. Der US-Präsident muss mit dem Kongress kooperieren, wenn er seine klimapolitischen Vorhaben erreichen will

Anders als im deutschen System kann ein US-Präsident nicht automatisch auf die Stimmen seiner Fraktion (bzw. seiner Koalition) im Parlament setzen. Selbst mit der komfortablen Mehrheit in den eigenen Reihen müssen klimapolitische Initiativen gegen die Interessen von Demokraten verhandelt werden, die sich als Anwälte ihrer heimischen Kohle,- Öl- und Autoindustrie verstehen. Das gilt vor allem im Senat, wo eine Zustimmung von 60 (von insgesamt 100) Senatoren nötig ist, um ein Gesetz zu beschließen. Zwar würden demokratische Senatoren sich schwer damit tun, ein Klimagesetz „ihres“ Präsidenten scheitern zu lassen. Ihre Zustimmung werden sie aber an entscheidende Änderungen verknüpfen. Der US-Präsident ist deshalb auf die Kooperation mit dem Senat und dem Repräsentantenhaus angewiesen. Wegen der Komplexität und des enormen Zeitdrucks bis zur nächsten UN-Klimakonferenz (Dezember 2009) wird erwartet, dass Obama einen „Klima-Zaren“ oder „Chief Energy Officer“ benennen wird. Bei Demokraten wie Republikanern gleichermaßen anerkannte politische Schwergewichte wie Arnold Schwarzenegger oder Al Gore sind hierfür im Gespräch.

3. Nach dem Abarbeiten der energiepolitischen Agenda folgen komplexe Beratungen in der Klimapolitik

Im Januar 2009 wird die oberste Priorität des Kongress und Präsidenten sein, die US-Wirtschaft wieder anzukurbeln. Investitionen werden in den Verkehr, den Ausbau der Stromnetze oder die Autoindustrie gelenkt. Auf die energiepolitische Agenda werden in 2009 zunächst die Dinge rücken, die im letzten Kongress kurz vor der Ziellinie abgefangen wurden: Steuervergünstigungen und ein landesweites Ziel für erneuerbare Energien. Im Gegenzug könnten Steuervorteile der großen Öl- und Gasmultis gestrichen werden. Die Anhebung der Verbrauchsstandards für Autos sowie ein Zuschussprogramm für den Kauf von Elektroautos könnten weitere Teile eines Paketes sein. Auch wenn hier im Einzelfall etliche Fallstricke drohen und um Mehrheiten gerungen werden muss, ist die energiepolitische Agenda und der Ausgang der Beratungen vergleichsweise absehbar. Wesentlich unübersichtlicher wird es in der Klimapolitik. Die Einführung des Emissionshandels wird das wohl größte und konflikträchtigste Projekt der nächsten zwei Jahre. Die Debatte wird, nach einer ersten Diskussion im Senat im Sommer 2008, neu aufgerollt werden. Obwohl vielen der Akteure die Relevanz hinsichtlich der internationalen Verhandlungen bewusst ist, wird wegen der Komplexität und der politischen Sprengkraft davon ausgegangen, dass das Gesetz in 2009 noch nicht verabschiedet wird. Wie schnell und wie ambitioniert dieses oder die zuvor angesprochenen Initiativen kommen werden, hängt auch sehr von der Besetzung von Schlüsselpositionen im Kongress ab.

4. Klima- und Energiegesetze werden verzögert und abgeschwächt, falls nicht Schlüsselpositionen im US-Kongress mit den richtigen Personen besetzt werden

Zwar haben die Demokraten bei der Wahl zugelegt. Doch im Gegenzug sind mehrere moderate Republikaner aus dem Kongress ausgeschieden. Das dürfte das in den USA übliche parteiübergreifende Arbeiten erschweren. Republikaner wie Demokraten sind vor allem im Senat kein monolithischer Block, sondern stimmen immer wieder in wechselnden Koalitionen. Wie schnell und wie ambitioniert der Kongress arbeiten wird, hängt auch von den Vorsitzenden der federführenden Ausschüsse ab. Dass im Repräsentantenhaus mit dem kalifornischen Abgeordneten Henry Waxman einer der dienstältesten Demokraten seinen Hut in den Ring um den Vorsitz des Energieausschusses wirft, unterstreicht die Bedeutung des Themas, markiert aber auch den innerparteilichen Dissens, den die Demokraten untereinander ausfechten müssen. Der klimapolitisch progressive Waxman fordert John Dingell heraus, der seit langem die Interessen der Autoindustrie vertritt und klimapolitisch immer wieder auf die Bremse steigt. Ihn aus den Weg zu räumen, wäre die Basis für mehr Tempo und Ambition in der Gesetzgebung im Repräsentantenhaus. Der vor zwei Jahren eingerichtete Sonderausschuss zum Klimawandel, in der letzten Legislaturperiode das Gegengewicht zum Energieausschuss, würde dann vermutlich nicht wieder einberufen werden. Im Senat ringen verschiedene Ausschüsse um die Zuständigkeiten zur Klimagesetzgebung. Ein finanziell so relevantes Thema wie der Emissionshandel wird nicht wie in der Vergangenheit nur im Umweltausschuss behandelt. Die Vorsitzenden des Finanz- und der Energieausschusses reklamieren ihre Zuständigkeit. Auch die Frage, welche zwei oder drei Senatoren die Beratungen anführen werden, ist noch gänzlich offen und wird stark über die Erfolgsaussichten des Gesetzpaketes entscheiden.

5. Die Umweltagentur EPA wird unter Obama gestärkt und eine aktive Rolle in der US-Klimapolitik spielen

Nach der Wahl wurde von Obama und dem Leiter seines Transition-Teams, John Podesta, eine Gruppe von Experten berufen, die Vorschläge für erste Schwerpunkte und institutionelle Reformen im Umweltbereich ausarbeiten soll. Das Team um Bob Sussmann vom Center for American Progress soll außerdem ein Auge auf die scheidende Administration und möglicher Last-Minute-Verordnungen werfen. Nachdem die Umweltagentur EPA (Environmental Protection Agency) in den letzten Jahren unter George W. Bush ein Schattendasein führte, wird die Behörde unter Obama aufgewertet werden und eine aktive Rolle in der US-Klimapolitik spielen. Für ihre Leitung werden diverse hochrangige Experten gehandelt. Die EPA kann vom Präsidenten als Druckmittel gegenüber dem Kongress eingesetzt werden, weil sie nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs auf Basis schon heute bestehender Gesetze den Ausstoß von Treibhausgasen regeln darf. Neben einer erstarkten Umweltagentur dürfte auch ein nationaler Energierat dem Thema mehr Gewicht verleihen, über dessen Einrichtung spekuliert wird. In ihm könnte die nationale und internationale Klima- und Energiepolitik der USA koordiniert werden. Neben der Leitung der Umweltbehörde und einem möglichen „Klima-Zaren” wird auch vom künftigen Finanzminister abhängen, mit welcher Vehemenz der neue klimapolitische Kurs der USA verfolgt wird.

6. Nach Jahren des Konflikts bahnt sich in der Klimapolitik ein kooperativer Föderalismus zwischen Bundesstaaten und Bundesregierung an

Anders als unter der Vorgängerregierung werden unter einem Präsidenten Obama die US-Bundesstaaten nicht länger an klimapolitischen Vorstößen gehindert, die über föderale Standards hinausgehen. So werden Initiativen für regionale Klimagesetze, zum Ausbau erneuerbarer Energien oder Verbrauchstandards für PKW sich schnell in vielen Bundesstaaten ausbreiten. Es gilt als ausgemacht, dass Kalifornien und 16 weiteren Bundesstaaten endlich die Genehmigung erteilt wird, eigene Verbrauchsstandards für PKW festzulegen. Eine solche Entscheidung durch die Umweltagentur EPA hätte Signalwirkung für die gesamte Klima- und Umweltpolitik der USA. Umgekehrt kann die föderale Ebene von den Erfahrungen lernen, die die Bundesstaaten etwa beim Aufbau von Registern für CO2-Zertifikate oder deren Auktionierung gesammelt haben.

7. Der erste Auftritt der neuen US-Regierung in der internationalen Klimadiplomatie droht mit zu großen Erwartungen auf Seiten der Europäer überfrachtet zu werden

Die USA werden unter Obama an den Verhandlungstisch der internationalen Klimapolitik zurückkehren. Sie wollen nicht länger nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung sein. Aber es wäre falsch darauf zu hoffen, dass in einem knappen Jahr das aufgeholt werden kann, was in den letzten acht Jahren unter George W. Bush (und in den Jahren zuvor) versäumt wurde. Die Emissionen in den USA sind seit 1990 um 16 Prozent gestiegen, u.a. bedingt durch ein fast ebenso starkes Bevölkerungswachstum. Damit sind sie weit von dem entfernt, was international für das Jahr 2020 diskutiert wird. Die USA werden sich deshalb kaum auf ein Ziel von minus 25-40 Prozent einlassen - dem Korridor, der bei der letzten Klimakonferenz für Industrieländer vereinbart wurde. Auch wird Obama den Fehler von Bill Clinton nicht wiederholen, einem internationalen Klimavertrag ohne vorheriges Mandat durch den Senat zuzustimmen. Doch der Kongress wird ein umfassendes Klimagesetz, inklusive eines Ziels für 2020, vermutlich erst 2010, also nach den Verhandlungen in Kopenhagen, verabschieden. Eine der größten Herausforderungen für Obama wird es sein, den Spagat zwischen dem Zeit- und Erwartungsdruck der internationalen Klimadiplomatie und den politischen Realitäten des US-Kongresses zu meistern. Die Europäer täten gut daran, dies für ihre Verhandlungsstrategie für Kopenhagen zu berücksichtigen.

8. Der Klimaschutz ist das geeignete Vehikel, die transatlantische Partnerschaft mit den USA zu erneuern

Während der Spagat zwischen nationaler und internationaler Klimadebatte eine große Herausforderung für die neue US-Regierung darstellt, birgt er zugleich eine enorme Chance für die transatlantischen Beziehungen. Entscheidend für eine zukünftige Kooperation ist dabei jedoch, dass die Europäer die innenpolitischen Prozesse der USA verstehen. Nur wenn die Regierung Obama mit dem Rückenwind eines Erfolges aus Kopenhagen zurückkehrt, wird es im Kongress und der öffentlichen Meinung Unterstützung für einen ambitionierten Klimaschutz in den USA geben. Für die EU ist der Grat zwischen den großen Erwartungen und der Gefahr, zuviel Druck auszuüben,  schmal. Es sollte im Interesse der Europäer liegen, die amerikanische Regierung zunächst mit Kräften auf ihrem neuen Weg zu unterstützen - etwa beim Aufbau eines Emissionshandelssystems. Nehmen die Europäer hier die Rolle eines konstruktiven Partners ein, schaffen sie damit eine solide Grundlage für eine langfristige Zusammenarbeit und eine transatlantische Führungsrolle. Erste Ansätze für eine solche Zusammenarbeit bestehen bereits. So arbeitet die Heinrich-Böll-Stiftung seit diesem Jahr an einem transatlantischen Klimadialog. Auch das Auswärtige Amt verstärkt mit der transatlantischen Klimabrücke den Austausch der notwendigen Expertise.

Arne Jungjohann leitet das Programm Umwelt und Globaler Dialog der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington DC. Zuvor war er energie- und klimapolitischer Berater in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Dieser Text ist Teil einer Serie von energie- und klimapolitischen Perspektiven zur US-Wahl 2008. Die Transatlantic Climate Policy Group ist ein von der Heinrich-Böll-Stiftung aufgelegtes zweijähriges Programm, das von der EU-Kommission unterstützt wird.