Im Schicksalsjahr öffentlicher Klimafinanzierung muss ein Quantensprung gelingen

Interview

Das Thema Klimafinanzierung steht in diesem Jahr ganz oben auf der Agenda der internationalen Klimaverhandlungen. Unsere Klimafinanzierungsexpertin Liane Schalatek erklärt, worum es geht und worüber bei den Verhandlungen gestritten wird.

Lesedauer: 8 Minuten
Demonstrierende mit einem Banner mit der Aufschrift: Pay Up For Climate Finance Now!

Fragen zur Klimafinanzierung bei den UNFCCC SB 60 Verhandlungen in Bonn

Worum geht es bei der Klimafinanzierung ganz grundsätzlich? 

Die Klimafinanzierung ist eines der wichtigsten Mittel zur Umsetzung im internationalen Klimaprozess. Dass sie in adäquater, ausreichender und vorhersehbarer Weise zusätzlich zur Entwicklungsfinanzierung oder humanitären Unterstützung reicher Länder an arme Länder bereitgestellt wird, ist eine Notwendigkeit für die Umsetzung ambitionierter Klimaziele. Im Pariser Klimaabkommen gehen alle Mitgliedsstaaten national bestimmte Klimaschutzverpflichtungen ein. Diese sollen im fünfjährigen Rhythmus erhöht werden, mit dem Ziel, die globale Erwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, um die schlimmsten Klimafolgen für Menschen und den Planeten abzuwenden. Allerdings machen Entwicklungsländer in ihren Klimaplänen klar, dass sie für die vollständige Umsetzung die Finanzhilfe der Industrieländer brauchen. 

In der Klimarahmenkonvention UNFCCC ist vorgesehen, dass Industrieländer, die über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, von der Verbrennung von fossilen Brennstoffen für ihr Wirtschafts- und Wohlstandswachstum profitiert haben und deshalb die Hauptverantwortung als historische Klimaverschmutzer für die menschengemachte Klimakrise haben, Entwicklungsländer mit Finanzmitteln, aber auch mit technischer und anderer Hilfe bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen unterstützen. Diese vertragliche Verpflichtung beruht auf dem Verursacherprinzip und ist Bestandteil eines im Klimaregime verankerten Gerechtigkeitsansatzes, wonach alle 196 Unterzeichnerstaaten des Klimaregimes gemeinsame, aber differenzierte Verantwortlichkeiten gemäß ihren entsprechenden Fähigkeiten für die Eindämmung des globalen Klimawandels und zum Klimaschutz haben. Tatsächlich treffen die schwerwiegendsten Auswirkungen des Klimawandels bereits heute überdurchschnittlich stark oftmals marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie Frauen oder Indigene und die Länder, die am wenigsten Schuld am Klimawandel haben. Beispielsweise verursachen die 54 Staaten des afrikanischen Kontinents mit rund 1,4 Milliarden Menschen nur rund 4 Prozent der jährlichen globalen Emissionen. Im Vergleich: die 27 Staaten der Europäischen Union mit rund 448 Millionen Menschen haben dagegen einen Anteil von rund 8 Prozent am globalen Schadstoffausstoß, wobei Deutschand mit gut 84 Milionen Einwohner*innen rund ein Viertel der EU-Emissionen zu verantworten hat. 

Warum ist Klimafinanzierung das große Thema bei den Klimaverhandlungen in diesem Jahr? 

Der Klimagipfel COP29 im November in Baku, Aserbaidschan, gilt als "Finanz-COP” und wird mit einer Mischung aus Spannung und Besorgnis erwartet, weil die wichtigste dieses Jahr im Klimaprozess anstehende Entscheidung die über ein neues kollektives Klimafinanzierungsziel ist (new collective quantified goal on climate finance, NCQG). Seit dem Kopenhagener Klimagipfel 2009 gab es ein international gesetztes Finanzziel, wonach Industrieländer Entwicklungsländer ab 2020 pro Jahr mit 100 Milliarden US-Dollar Klimafinanzierung unterstützen sollen. Dieses soll ab 2025 durch ein neues Ziel abgelöst werden, das dieses Jahr verhandelt wird. 

Das 100-Milliarden-Ziel wurde laut der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 2022 erstmals mit zweijähriger Verspätung erreicht. Allerdings kritisieren Beobachter*innen, dass die Mehrheit der Gelder nach wie vor nur als Kredite und für die Emissionsminderung, aber nicht für die Anpassung an Klimaschäden, und in der Form von Zuschüssen, die die bestehende Überschuldung vieler Entwicklungsländer nicht weiter verschärfen, bereitgestellt wurden. Für das neue Klimafinanzierungsziel ab 2025 fordern sie deshalb eine deutliche Erhöhung öffentlicher Klimagelder. Dabei ist die Quantität wichtig – also wie viel Geld insgesamt zur Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern von Industrieländern zur Verfügung gestellt werden soll –, aber auch die Qualität – also dass der größte Teil der Gelder als Zuschüsse bereitgestellt wird und außerdem auf eine Weise, dass gerade schwerstbetroffene Länder und Bevölkerungsgruppen möglichst einfachen Zugang haben. Beispielsweise sollten gerade von lokalen Gemeinschaften durchgeführte Anpassungsmaßnahmen von Klimamitteln direkt profitieren. Auch sollten öffentliche Zuschüsse für die Folgen von Extremwetterereignissen, die durch den Klimawandel bereits jetzt immer häufiger und schwerwiegender werden, bereitgestellt werden, für die es bislang fast keine Gelder gibt.

Um wie viel Geld geht es? 

Das neue Finanzierungsziel muss deutlich höher ausfallen als das 100-Milliarden-Ziel, das 2009 als politischer Kompromiss des Machbaren festgelegt wurde und schon damals weit vom tatsächlichen Finanzierungsbedarf der Entwicklungsländer entfernt war. Rund 15 Jahre später sind die Finanzbedarfe massiv gestiegen, unter anderem weil die Industrieländer ihren Emissionsverpflichtungen nicht ausreichend nachgekommen sind und weil die Wissenschaft angesichts des sich beschleunigten Klimawandels die rasche Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme aller Staaten und verstärkte Unterstützung für Maßnahmen zur Anpassung und zum Umgang mit gravierenden Verlusten und Schäden fordert. Nach einem UNFCCC-Bericht aus dem Jahr 2020 würde allein für die teilweise Umsetzung der nationalen Klimaschutzpläne von Entwicklungsländern bis 2030, für die Kostenschätzungen vorliegen, jährlich rund 1,1 Billionen US-Dollar anfallen. Darin sind die Kosten für die massiven Verluste und Schäden in Entwicklungsländern nach Extremwetterereignissen, wie etwa die Jahrhundertflut in Pakistan im Jahr 2022, die allein mindestens Schäden von rund 30 Milliarden US-Dollar verursacht hat, größtenteils noch nicht enthalten. Schätzungen sprechen davon, dass bis 2030 bis zu 400 Milliarden US-Dollar jährlich an Verlusten und Schäden entstehen könnten. Dies steht im starken Kontrast zu den rund 660 Millionen US-Dollar, die bei der COP28 in Dubai als Anfangsfinanzierung für den neuen Fonds für Verluste und Schäden zugesagt wurden. Wenn ein neuer UNFCCC-Bedarfsfeststellungsbericht (need determination report, NDR) im Herbst kurz vor der COP29 vorgestellt wird, dürften die Kostenschätzungen noch deutlich höher ausfallen. Laut anderen Kostenschätzungen werden allein für die Anpassung jährlich bis 2030 zwischen 215 und 387 Milliarden US-Dollar benötigt und rund 4,3 Billionen US-Dollar pro Jahr an Investitionen in saubere Energien, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. 

Was sind die zentralen Dissense, die die Verhandlungen blockieren? 

Mit dem neuen Klimafinanzierungsziel wird in diesem Jahr auch über die Zukunft der öffentlichen Klimafinanzierung entschieden, und darüber, ob Industrieländer eine fortgesetzte Verpflichtung zur Unterstützung von Entwicklungsländern haben. Debattiert wird dabei vor allem, ob die Geberbasis weiterhin auf den Grundprinzipien der Klimarahmenkonvention beruht, also historische Verantwortung und Klimagrechtigkeit miteinbezieht, oder durch neue Geber, vor allem China und die reichen Ölförderstaaten im Mittleren Osten, die technisch noch als Entwicklungsländer im Klimaregime gelten, erweitert werden soll. Zugleich wird gerade von den USA jedwede Zahlungsverpflichtung der Industrieländer für das neue Ziel abgestritten, das sie als globales Investitionsziel verstehen, in das alle Finanzierungsflüsse zur Unterstützung von Klimamaßnahmen, inklusive die eigenen Finanzbemühungen in Entwicklungsländern eingerechnet werden sollen. Dabei setzen die reichen Industrieländer vor allem auf den Beitrag des Privatsektors für den nötigen Anstieg der Klimafinanzierung. Die europäischen Länder betonen zwar, dass das neue Klimafinanzierungsziel mit einer Reihe von Finanzierungsschichten einen öffentlichen Klimafinanzierungskern haben soll, zu dem sie weiterhin beitragen wollen, sehen dessen Größe aber als begrenzt. Außerdem möchten sie die knappen öffentlichen Gelder in erster Linie für die Empfängerländer reservieren, die sie als besonders bedürftig anerkennen, nämlich kleine Inselstaaten und am wenigsten entwickelte arme Länder, sowie für die Hebelung von Privatsektorinvestitionen. 

Das verkennt allerdings die große Klimavulnerabilität vieler Länder mittleren Einkommens mit Hunderten Millionen vom Klimawandel betroffener Menschen. Sie leiden bereits jetzt unter der Überschuldung, bezahlen die rasant steigenden Kosten für Anpassung, Verluste und Schäden häufig bereits aus eigener Tasche und müssen aufgrund ihres engen fiskalischen Spielraums dafür Wirtschaftswachstum, Entwicklungsziele und Armutsreduzierung vernachlässigen. Zusätzlich werden sie vom globalen Finanzmarkt aufgrund ihrer wachsenden Klimarisiken mit immer höheren Kosten für die Aufnahme von Investitionskrediten für den Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung abgestraft und müssen Kredite in westlichen Währungen aufnehmen und zurückzahlen.

Was fordert die Zivilgesellschaft? 

Seitens der Zivilgesellschaft sind die Forderungen deutlich: Wir brauchen ein neues Klimafinanzierungziel, das den Quantensprung von den Milliarden zu den Billionen schafft, wobei der Großteil von einem öffentlichen Finanzierungskern mit Transferleistungen der Industrieländer an alle Entwicklungsländer weiterhin auf Grundlage der historischen Verantwortung und als Frage von Klimagerechtigkeit fließen muss. Mehr Mittel stehen zur Verfügung, müssen aber politisch priorisiert werden. Dazu müssten unter anderem fehlgeleitete Finanzausgaben, wie beispielsweise die rund 123 Milliarden Euro, die 2022 im EU-Raum in Subventionen für fossile Brennstoffe geflossen sind, sowie militärische Ausgaben umgeschichtet und neue innovative Besteuerungsmechanismen, wie zum Beispiel eine Reichensteuer oder eine Flugticketsteuer, erwogen werden. Gelder für die Anpassung und zur Bewältigung von Verlusten und Schäden, welche ins neue Ziel integriert werden müssen, müssen ausschließlich als Zuschüsse fließen, um die unhaltbare Überschuldung von Entwicklungsländern nicht noch zu vertiefen. Bereits heute geben Dutzende von klimavulnerablen Entwicklungsländern, vor allem in Afrika sowie kleinen Inselstaaten, jährlich mehr für den Schuldendienst als für Investitionen in Klimaschutz oder das Gesundheitswesen aus. Über das Klimaregime und das neue Klimafinanzierungsziel hinausgehend muss deshalb ein umfassender Schuldenerlass, ein Klima-Jubilee, Bestandteil der Debatte um die Zukunft der Klimafinanzierung sein. 

Nach Ansicht der Zivilgesellschaft haben die reichen Länder gegenüber den Entwicklungsländern eine immense Klimaschuld aufgetragen, auch weil sie deren Spielraum für eine Wirtschaftsentwicklung auf der Grundlage von fossilen Brennstoffen beschränkt haben und das globale CO2-Budget zur Begrenzung auf 1,5 Grad praktisch aufgebraucht haben. Die frühindustrialisierten Länder profitieren außerdem von ihrer Dominanz im internationalen Finanz- und Wirtschaftssystem, inklusive in den internationalen Finanzinstitutionen, in denen sie die Rahmenbedingungen setzen. Nach einigen Schätzungen findet durch das Ungleichgewicht im globalen Wirtschafts- und Finanzsystem zugunsten der Industrieländer, beispielsweise durch ungerechte Handelsbeziehungen, die Dominanz westlicher Währungen und Überschuldung, faktisch ein Finanztransfer von Entwicklungsländern zu den Industriestaaten von jährlich rund 2 Billionen US-Dollar statt. Auch deshalb müssen Industrieländer als eine Frage der Klimagerechtigkeit auch in Zukunft durch fortgesetzte und erhöhte Klimafinanzierungstransferleistungen eine gerechte und inklusive Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme in Entwicklungsländern unterstützen. 


Die Fragen stellte Linda Schneider, Referentin für Internationale Klima- und Energiepolitik.