Zentralamerika: Pressefreiheit und demokratische Werte verteidigen

Hintergrund

Die Stärkung der Pressefreiheit und der Schutz von Journalist*innen bedeutet die Verteidigung demokratischer Werte und rechtsstaatlicher Institutionen. Ein Überblick über den mutigen, kritischen und gut vernetzten Journalismus in Zentralamerika zum Tag der Pressefreiheit.

Grafik zu Pressefreiheit und Journalismus in Lateinamerika

Die bereits fragilen demokratischen Institutionen Zentralamerikas sind in den letzten Jahren geschwächt worden. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der autoritären Praktiken und der Attacken gegen jedwede Form von Herrschaftskontrolle von Regierungen wie in Nicaragua und El Salvador nehmen auch die Angriffe auf die Pressefreiheit zu. Eine beunruhigende Entwicklung ist dabei, dass es immer häufiger zu einer direkten Kriminalisierung von Journalist*innen kommt.

2023 wurde der zweite Bericht zum Stand der Meinungsfreiheit in Zentralamerika von der Universidad de Costa Rica (UCR) – in Zusammenarbeit mit dem Regionalbüro Zentralamerika der Heinrich-Böll-Stiftung – publiziert. In diesem gaben sieben von zehn befragten Journalist*innen an, dass ihre Regierung rechtliche Schritte ergriffen hat, um die Inhalte ihrer Medien zu kontrollieren oder einzuschränken. Acht von zehn Journalist*innen waren zudem der Ansicht, dass Drohungen gegen Medien in der Region an der Tagesordnung sind und journalistische Arbeit eine Risikotätigkeit darstellt.

Diese Entwicklung entspricht einem globalen Trend, der sich auch an der von Reporter ohne Grenzen erstellten Rangliste der Pressefreiheit 2023 ablesen lässt. Journalist*innen haben in sieben von zehn Ländern mit widrigen Arbeitsbedingungen zu kämpfen, so der Bericht von Reporter ohne Grenzen. Zugleich sind sie Anfeindungen von Seiten der politischen Elite sowie einem wachsenden Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Medien ausgesetzt. Heute journalistisch tätig zu sein, bedeutet einer Risikotätigkeit nachzugehen.

Zwar sind Angriffe auf die Presse kein neues Phänomen, doch hat die Häufigkeit derartiger Vorfälle in den letzten Jahren zugenommen und global hat sich das Risiko erhöht. Im Bericht „Freedom on the Net“ heißt es, dass Medienschaffende in 55 der 70 untersuchten Ländern rechtlichen Repressalien aufgrund von Meinungsäußerungen ausgesetzt waren. In 41 Ländern kam es in der Folge sogar zu gewaltsamen Übergriffen gegen Journalist*innen, die von körperlichen Angriffen bis hin zu Morden reichten.

Aufgrund ihres Geschlechts sehen sich Journalistinnen besonderen Risiken gegenüber. Diese Risiken verschärfen sich nicht nur aufgrund des Machtgefälles zwischen Männern und Frauen, sondern auch aufgrund patriarchaler Strukturen in der Gesellschaft, die bis in die Medien hineinreichen, für die sie arbeiten. Hinzu kommen unterschiedliche soziale Akteure, wie etwa die jeweiligen Regierungen, die mit dafür verantwortlich sind, dass Journalistinnen in erhöhtem Maße spezifischen Formen von Gewalt ausgesetzt sind, wie sexistischen Angriffen im Internet, Übergriffen, sexueller Gewalt und Feminiziden. Dies führt dazu, dass deutlich mehr Frauen als Männer, aus dem Journalismus aussteigen.

Journalistische Arbeit gegen die autoritären Tendenzen

Ungeachtet der wachsenden Repression ist der investigative Journalismus in Zentralamerika seiner Mission treu geblieben: Dem Eintreten für die Meinungsfreiheit und das Recht der Bürger*innen auf zeitnahe und wahrheitsgetreue Informationen sowie die herrschaftskritische Berichterstattung die unabdingbar für den Aufbau und den Erhalt demokratischer Gesellschaften sind.

Als Reaktion auf die Auswirkungen der von populistischen Regierungen strategisch eingesetzten Desinformationen haben Journalist*innen ihre unabhängigen Recherchen fortgesetzt und vertieft. Es wird nicht nur die Korruption auf höchster Ebene, sondern auch die virulente Straffreiheit im Justizsystem enthüllt. Durch ihre Arbeit zeigen sie, wie autoritäre Regierungen durch gezielte Falschinformationen gesellschaftliche Diskurse zu Sicherheit und Fortschritt manipulieren und Risse in der Gesellschaft vertiefen.

In diesem Kontext fiel dem Journalismus bei den Wahlen, die zwischen 2023 und 2024 in Guatemala und El Salvador stattfanden, eine bedeutsame Rolle zu: den Bürger*innen relevante Informationen bieten. Im Fall von Guatemala verdienen besonders zwei Ansätze ein besonderes Augenmerk: zum einen die Arbeit eines feministisch ausgerichteten Basisjournalismus, der „zur Stimme“ traditionell ausgeschlossener Gemeinschaften geworden ist und deren Interessen, Bedürfnisse und Forderungen landesweit zum Thema gemacht hat. Zum anderen die journalistische Begleitung des friedlichen politischen Widerstands indigener Gruppen, der dafür sorgte, dass die Wahlergebnisse im Land, wonach die Partei Semilla mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Bernardo Arévalo überraschenderweise als Wahlsieger hervorging, auch tatsächlich Bestand hatten. Beide Ansätze waren essenziell, um den demokratischen Zustand der Institutionen über die Wahl in Guatemala hinaus zu schützen und zu fördern sowie die Hoffnung zu säen, dass ein zweiter guatemaltekischer Frühling den herrschenden „Pakt der Korrupten“ auf demokratischen Weg aushebeln könnte.

In El Salvador wiederum war es ein unerschrockener Journalismus, der es trotz aller zielgerichteten Attacken von Seiten des Präsidenten verstanden hat, die Art und Weise seiner Machtausübung weiterhin kritisch zu beleuchten. So berichten lokale Journalist*innen unermüdlich von den zahlreichen Menschenrechtsverstößen während des andauernden Ausnahmezustands, der die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt hat und der grausamen und unmenschlichen Behandlung, die Inhaftierte zu erleiden haben.

In Nicaragua schließlich sind es Stimmen aus dem Exil, die – egal, wo sie sich befinden – vor dem Hintergrund des herrschenden autoritären Paradigmas von Ortega und Murillo die Meinungsfreiheit einfordern und die sich weigern, ihre Staatsbürgerschaft abzulegen. Im Zentrum ihrer Bemühungen für die Bürger*innen Nicaraguas steht das Recht auf Information.

Ein dringender Aufruf zur Verteidigung von Demokratie und Pressefreiheit in Zentralamerika

In diesen kritischen Momenten, denen sich der Journalismus in der Region gegenübersieht, und im Bewusstsein der komplexen historischen Lage, hat die Heinrich-Böll-Stiftung ihre Unterstützung für von Verfolgung und Exil bedrohte Journalist*innen ausgeweitet. Dazu gehören beispielsweise Räume des Dialogs und Erfahrungsaustauschs wie das Foro Centroamericano de Periodismo (FORO CAP), das 2023 seine 25. Ausgabe feierte und damit seine Position als zentrales journalistisches Austauschforum in Zentralamerika noch einmal unterstreicht.

Im Kontext wachsender autoritärer Tendenzen, hat sich der Journalismus zu einem zentralen Pfeiler demokratischer Grundrechte und rechtsstaatlicher Institutionen in Zentralamerika entwickelt und das mit zunehmend hohen Kosten für die Journalist*innen und ihre Familien. Die Heinrich-Böll-Stiftung San Salvador hat ihre strategische Zusammenarbeit mit der Red Centroamericana de Periodistas sowie mit Forschungszentren und Universitäten vertieft um die wachsenden autoritären Tendenzen auch über die Region hinaus sichtbarer zu machen. Gemeinsam mit dem Programa de Libertad de Expresión y Derecho a la Información (PROLEDI) an der Universidad de Costa Rica (UCR) sind so zwei Berichte 1 entstanden, die einer Vielzahl an relevanten Akteuren in der Region sowie in Deutschland und Europa zur Verfügung gestellt wurden und als Referenz für die Einschätzung der Lage des Journalismus und der Pressefreiheit in Zentralamerika dienen. Um dem dramatischen Abbau rechtsstaatlicher Institutionen, demokratischer Prozesse und Werte in der Region Einhalt zu gewähren, ist ein unabhängiger und kritischer Journalismus unerlässlich um weiterhin über Machtmissbrauch, korrupte Netzwerke und die Kooptation von Justiz sowie Straffreiheit zu berichten, in den jeweiligen Ländern, oder – wie etwa im Falle Nicaraguas – aus dem Exil.

Angesichts der zentralen Rolle zentralamerikanischer Journalist*innen bei der Verteidigung demokratischer Institutionen und Werte, leisten Initiativen zum Schutz von Pressefreiheit und Journalist*innen einen wesentlichen Beitrag zur Demokratieförderung in einer Phase autoritärer Regression. Mit der Ausweitung der Hannah-Arendt-Initiative auf Zentralamerika und der Einrichtung eines Zentrums für den freien Journalismus in Costa Rica unter Federführung der Deutschen Welle Akademie hat die deutsche Bundesregierung ein deutliches Zeichen ihres Engagements für die Stärkung und Verteidigung der Demokratie in Zentralamerika gesetzt. Unter der Führung der DW Akademie soll im geplanten Zentrum im ersten Halbjahr 2024 ein Begegnungsraum eröffnet werden. Das Zentrum soll zentralamerikanische Journalist*innen im Exil bei allen sich daraus ergebenden Fragen unterstützen: rechtliche Beratung, psychosoziale Begleitung sowie physische Räume für kollaboratives Arbeiten. Ziel des Projekts ist die Förderung des investigativen Journalismus sowie die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen für eine wachsende journalistische Community aus Zentralamerika – und insbesondere aus Nicaragua –, die in Costa Rica nach Mitteln und Wegen sucht, ihre Informationsarbeit fortzusetzen.

Gleichzeitig gilt es, Netzwerke von Journalist*innen zu stärken, in denen die Erfahrungen über erfolgreiche Strategien gegen Desinformationskampagnen und den Einsatz von künstlicher Intelligenz ausgetauscht werden. Aus diesem Grunde organisierten die Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Zentralamerika und Mexiko gemeinsam mit der Deutschen Welle Akademie einen Mediendialog, an dem neben unterschiedlichsten Stimmen des Journalismus aus Zentralamerika und Mexiko auch deutsche Auslandskorrespondent*innen, die in der Region tätig sind, vertreten waren. Bei dem Dialog konnten Erfahrungen zu den Gefahren von Desinformationskampagnen und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz im Kontext von Wahlen ausgetauscht werden. Zudem wurde gemeinsam an der Entwicklung neuer Strategien zur Erschließung nicht konventioneller Zielgruppen gearbeitet. Die Ergebnisse des Workshops sollen als Grundlage für die Entwicklung medialer Strategien dienen, die Redaktionen und Journalist*innen dabei helfen, Desinformationskampagnen zu begegnen und mit differenzierter und autonomer Berichterstattung eine wachsende Anzahl von Bürger*innen zu erreichen.

Die Vergangenheit bietet reichlich Beispiele, aus denen hervorgeht, wie der Weg zum Totalitarismus gepflastert ist. An dessen Anfang steht der Angriff auf andersdenkende Stimmen und auf die Meinungsfreiheit insgesamt. Jetzt ist der Zeitpunkt für den Schutz des Journalismus zu handeln, für Zentralamerika und für die Demokratie. Oder wie Heinrich Böll es seinerzeit ausdrückte: „Einmischen ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben.“ Die Demokratie in Zentralamerika bedarf unseres Handelns. Wir müssen uns einmischen, um die Journalist*innen sowie das Recht der Bürger*innen auf Information zu schützen.

Übersetzung aus dem Spanischen: Sebastian Landsberger und Bettina Hoyer (für lingua•trans•fair)


Mediendialog: Desinformation und die Wahlen 2024

Gemeinsam mit der DW Akademie organisierten die Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko-Stadt und San Salvador einen Austausch zwischen Journalist*innen, um die Herausforderungen und Chancen zu erörtern, denen sich der Journalismus im Zusammenhang mit den jüngsten und laufenden Wahlprozessen in der Region gegenübersieht.

In diesem »Dossier« teilen Medienjournalist*innen aus El Salvador, Guatemala und Mexiko einige der Überlegungen des Mediendialogs.

» Journalistische Taktiken zum Schutz der Demokratie

Zu den erörterten Themen gehörten die sich verschlechternde Situation der Gewalt gegen Journalist*innen und ihre Auswirkungen auf die Pressefreiheit sowie die sich durch die Entwicklung und den Einfluss neuer Technologien verändernden Bedingungen für die Ausübung des Berufs.

» Schutz der Pressefreiheit in Lateinamerika (Playlist auf YouTube)