Studie warnt: 47 Länder könnten in den nächsten fünf Jahren zahlungsunfähig werden

Berlin, 15.04.2024

Die Zeit drängt, um die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und des Pariser Abkommens zu erreichen. Eine neue Studie zeigt jedoch, dass 47 Länder mit einer Gesamtbevölkerung von über 1,11 Milliarden Menschen in den nächsten fünf Jahren mit Insolvenzproblemen konfrontiert sein könnten, wenn sie ihre Investitionen erhöhen, um ebendiese Ziele zu erreichen.

Die unabhängige Expert*innengruppe der G20 schätzt, dass aufstrebende Volkswirtschaften bis 2030 jährlich drei Billionen US-Dollar mobilisieren müssen, um die Agenda 2030 und das Pariser Abkommen zu erreichen, wovon eine Billion US-Dollar aus externen Quellen kommen sollen.
Eine neue Studie des Debt Relief for a Green and Inclusive Recovery (DRGR) Projekts führt eine erweiterte Schuldentragfähigkeitsanalyse durch und kommt zu dem alarmierenden Ergebnis, dass 47 wirtschaftlich anfällige Schwellen- und Entwicklungsländer in den nächsten fünf Jahren möglicherweise zahlungsunfähig werden, wenn sie versuchen, ihre Investitionen zu erhöhen, um die Klima- und Entwicklungsziele zu erreichen. Der Grund: Sie sind mit einer Auslandsverschuldung in historischer Höhe, sehr hohen Zinssätzen und geringen Wachstumsaussichten bis 2030 konfrontiert.

Prof. Ulrich Volz, Direktor des Centre for Sustainable Finance an der SOAS University of London, sagt: „Die derzeit vom Internationalen Währungsfonds durchgeführten Schuldentragfähigkeitsanalysen unterschätzen die Probleme mit der Schuldentragfähigkeit in Entwicklungsländern erheblich, da sie den kritischen Bedarf an Entwicklungs- und Klimainvestitionen nicht berücksichtigen. Länder, die nicht in Klimaanpassung und Widerstandsfähigkeit, Gesundheit, Bildung und Ernährungssicherheit investieren können, werden erleben, dass ihre Entwicklungsperspektiven entgleisen, was die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung weiter untergraben wird."

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie im Überblick:
• Die externen öffentlichen und öffentlich garantierten Schulden haben sich seit 2008 mehr als verdoppelt, wobei 2024 das teuerste Schuldendienstjahr in diesem Jahrhundert ist.

• Schuldendienstzahlungen verdrängen Investitionen in Entwicklung und Klima, wobei fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Ländern lebt, die mehr für den Auslandsschuldendienst ausgeben als für Gesundheit oder Bildung.

  • Private Kapitalmärkte sind für die meisten aufstrebenden Volkswirtschaften unerreichbar, da Anleiherenditen höher sind als prognostizierte Wachstumsraten.
  • von 66 wirtschaftlich anfälligen Schwellen- und Entwicklungsländer werden schätzungsweise 47 die Solvenzschwellen des Internationalen Währungsfonds (IWF) fürs Auslandsverschuldung überschreiten, wenn sie das Kapital für die Umsetzung der Agenda 2030 und des Pariser Abkommens mobilisieren; weiteren 19 Ländern fehlt es an Liquidität und steuerlichem Spielraum für Klima- und Entwicklungsinvestitionen.

Maria Fernanda Espinosa, CEO von Global Women Leaders, ehemalige Präsidentin der UN-Generalversammlung und ehemalige Außen- und Verteidigungsministerin von Ecuador, betont: „Diese Studie hat eine klare Botschaft: Die Verlängerung der Schuldenkrise wird die Klimakrise verlängern. Während die Länder ihre nächste Runde von Klimazusagen für das nächste Jahr vorbereiten, wird eine reformierte Staatsschuldenarchitektur entscheidend sein, um sicherzustellen, dass die Länder ihre ehrgeizigsten Ziele erreichen und den Grundstein für eine prosperierende Zukunft legen können."

Vor diesem Hintergrund sprechen sich die Autor*innen der Studie für eine Reform des von der G20 verabschiedeten Common Framework for Debt Treatment aus, mit dem die Restrukturierung staatlicher Schulden verhandelt werden soll. Das Rahmenwerk sollte eine erweiterte Schuldentragfähigkeitsanalyse zur Grundlage machen, die die Investitionsbedarfe von Ländern für Entwicklung und Klimaschutz integriert, sowie höhere Schuldenerlasse ermöglichen und stärkere Anreize zur Beteiligung aller Gläubiger schaffen.

„Dass sowohl die Weltbank als auch der Internationale Währungsfonds hier mittlerweile Reformbedarf sehen, ist nur zu begrüßen“, so Imme Scholz, Vorständin der Heinrich-Böll-Stiftung. „Deutschland sollte den Reformprozess aktiv unterstützen.“

Ebenso empfiehlt die Studie, dass auch Maßnahmen ergriffen werden sollten für Länder, die sich nicht in einer Schuldenkrise befinden, aber Liquiditätsprobleme haben, und denen der fiskalische Spielraum für Entwicklungsinvestitionen fehlt, wie z.B. die zeitweise Aussetzung des Schuldendienstes. Eine Zusammenfassung der Studie (auf Englisch) lesen Sie hier.

Fachkontakt: Jörg Haas, Referent Globalisierung und Transformation, haas@boell.de

Über das DRGR-Projekt:

Das Projekt Debt Relief for a Green and Inclusive Recovery (DRGR) ist eine Zusammenarbeit zwischen der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Boston University Global Development Policy Center, und dem Centre for Sustainable Finance der SOAS University of London. Es strebt eine umfassende Schuldenreform an, um einen gerechten Übergang zu einer nachhaltigen, kohlenstoffarmen Wirtschaft zu fördern.

Weitere Informationen: https://drgr.org


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Heinrich-Böll-Stiftung
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