Agrarökologie: Eine systemische Antwort

Atlas

Landwirtschaft und Bodennutzung sind eng mit der Klimakrise und dem Artensterben verbunden. Gleichzeitig steigt die Zahl der Hungernden und Fehlernährten seit 2017 wieder kontinuierlich. Angesichts dieser Krisen rückt Agrarökologie als systemischer Ansatz in den Fokus, auch als Alternative zur energie- und ressourcenintensiven industriellen Landwirtschaft.

Recht auf Land, Ressourcen, Selbstbestimmung: Ernährungssysteme sollen durch Agrarökologie grundlegend transformiert werden
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Recht auf Land, Ressourcen, Selbstbestimmung: Ernährungssysteme sollen durch Agrarökologie grundlegend transformiert werden

Agrarökologie steht für eine nachhaltige Landwirtschaft, die auf das Zusammenspiel zwischen Pflanzen, Tieren und Boden setzt. Ein Beispiel ist der Anbau von Pflanzen, die durch natürliche Duftstoffe bestimmte Insekten fernhalten oder Bestäuber anziehen. Um Abhängigkeiten von externen Ressourcen wie synthetische Stickstoffdünger zu überwinden, wird auf vielfältige Kulturen in Anbau, Humusaufbau und Kreislaufwirtschaft mit Hilfe von Mist und Kompost zum Düngen gesetzt. Das stärkt die Widerstandsfähigkeit des Agrarökosystems gegenüber Wetterextremen, Krankheiten und Preisschwankungen. Eine große Rolle spielen lokal angepasste Lösungen wie standortspezifische Bodenbearbeitungsmethoden, Kreislaufwirtschaft und traditionelle Praktiken – etwa das Anpflanzen von förderlichen Begleitpflanzen oder sich gegenseitig fördernden Mischkulturen.

Bodenatlas 2024 Cover

Der Bodenatlas 2024

Der Bodenatlas beleuchtet in 19 Kapiteln nicht nur die Folgen des weltweiten Verlusts an fruchtbarem Boden, sondern zeigt auch die Potentiale nachhaltiger und gerechter Bodennutzung für den Klimaschutz und die Artenvielfalt.

Agrarökologische Konzepte zielen nicht nur darauf ab, landwirtschaftliche Praktiken mit Blick auf ihre Nachhaltigkeit zu optimieren. Zentral sind auch soziale und wirtschaftliche Aspekte wie menschenwürdige Arbeit, regionale Wertschöpfungsketten, die Reduktion von Abhängigkeiten von globalen Märkten und die Sicherung der Landrechte von Bäuer*innen, Hirtenvölkern und indigenen Gemeinschaften. Es geht um nicht weniger als eine grundlegende Transformation der Ernährungssysteme.

Der Blick auf ökologisch bewirtschaftete Flächen in Deutschland zeigt: Im Vergleich zu konventionell bewirtschafteten Flächen verfügen sie über mehr Pflanzenvielfalt auf und neben dem Acker, über mehr Insekten und über mehr Feldvögel. Außerdem weisen ökologisch bewirtschaftete Böden meist einen höheren Humusgehalt und eine verbesserte Wasserspeicherkapazität auf. Besonders in trockenen Jahren kann das sogar zu stabileren Erträgen als auf konventionell bewirtschafteten Böden führen. Untersuchungen in Indien, Brasilien und im Senegal zeigen, dass Agrarökologie die Produktivität und das Einkommen der Betriebe insbesondere in trockenen Gebieten stärken kann, in denen Menschen von Hunger bedroht sind und Landwirtschaft von Wetterextremen wie Dürren heimgesucht wird.

Mischkultur und Zwischenfrüchte diversifizieren zudem das Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe. So zeichnen sich agrarökologische Betriebe im Globalen Süden, wo Agrarökologie weiter verbreitetet ist als im Norden, häufig durch eine höhere Vielfalt in den Anbaufrüchten und bessere Ernährungssicherheit aus. Erhebungen im Senegal, in Brasilien und Indien haben gezeigt, dass die agrarökologischen Betriebe den konventionell wirtschaftenden Bäuer*innen bei der Produktivität überlegen waren: je nach Land und Region lagen die Unterschiede zwischen 17 und 49 Prozent. Gleichzeitig wurde in einem brasilianischen Agroforstbetrieb der Anbau von bis zu 133 verschiedenen Obst- und Gemüsesorten dokumentiert.

Die Studie zeigt: Die 10 Prozent der ärmsten Kleinbäuer*innen steigerten ihr jährliches Einkommen mit Agrarökologie um 65 bis 650 Dollar
Die Studie zeigt: Die 10 Prozent der ärmsten Kleinbäuer*innen steigerten ihr jährliches Einkommen mit Agrarökologie um 65 bis 650 Dollar

Im Vergleich zu konventioneller Landwirtschaft mit hohen agrarchemikalischen Inputs haben agrarökologische Produktionsverfahren jedoch oft eine geringere Flächenproduktivität. Vor diesem Hintergrund wird das Potenzial der Agrarökologie, zur Ernährungssicherung beizutragen, von Kritiker*innen infrage gestellt. Ein Beispiel: Der Anbau von Hülsenfrüchten in ökologischen Fruchtfolgen reduziert den Getreideanteil im Vergleich zu stark getreidelastigen Fruchtfolgen mit Einsatz von synthetischen Stickstoffdünger und Pestiziden. Jedoch tragen Hülsenfrüchte dafür zur langfristigen Bodengesundheit bei – anders als Mineraldünger und Pestizide. Die Kritik trägt deshalb nur unter der Annahme, dass sich Landnutzung und Ernährung kaum ändern werden und die Nachfrage nach tierischen Produkten weiter steigen wird. Seit Jahren betonen Expert*innen jedoch, wie notwendig es ist, dass wir unsere Ernährungsgewohnheiten ändern und mehr Gemüse und Obst konsumieren, dafür weniger tierische oder hochverarbeitete Produkte. Durch die bloße Betrachtung einzelner Ernteerträge blenden Kritiker*innen der Agrarökologie außerdem die ökologischen Leistungen und Vorteile der Diversifizierung von Betrieben aus.

Frauen sind häufiger von Ernährungsunsicherheit betroffen. Agrarökologische Ansätze versuchen, die Unabhängigkeit von Frauen zu stärken
Frauen sind häufiger von Ernährungsunsicherheit betroffen. Agrarökologische Ansätze versuchen, die Unabhängigkeit von Frauen zu stärken

Der systemische Ansatz der Agrarökologie findet zunehmend breitere Unterstützung: Länder wie Indien, Brasilien und Frankreich, aber auch Organisationen der Vereinten Nationen fördern Agrarökologie. Seit 2021 unterstützt die deutsche Regierung in Indien agrarökologische Transformationsprozesse. Dass eine Transformation unerlässlich ist, zeigen auch die versteckten Kosten des bestehenden Systems: Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen hat die negativen Auswirkungen konventioneller Landwirtschaft mit versteckten Kosten in Höhe von 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Ländern mit niedrigem Einkommen beziffert, für Deutschland wurden externe Kosten der derzeitigen Landwirtschaft von 90 Milliarden Euro pro Jahr berechnet. Durch die Fähigkeit agrarökologischer Systeme, auf die unterschiedlichen Auswirkungen der Klimakrise zu reagieren, wird ihre Bedeutung in der nahen Zukunft zunehmen.