Ökosystem Moor: Artenvielfalt in Gefahr

Atlas

Moore sind einzigartige Ökosysteme mit hochspezialisierten Tier- und Pflanzenarten. Viele von ihnen kommen nur in Mooren vor. Und sind durch deren Zerstörung vom Aussterben bedroht.
 

Mooratlas Infografik: Europäische Moorregionen und die Gesamtfl äche der Moore, in 1.000 Hektar
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1,8 Millionen Hektar natürliche Moore gab es einst in Deutschland. Ein Großteil davon ist zerstört. 70 Prozent aller Moorpflanzen stehen vor dem Aussterben

Moor ist nicht gleich Moor. Je nach Region unterscheiden sie sich in Eigenschaften wie Wasserhaushalt, Nährstoffgehalt und dem Säuregehalt ihres Wassers und Bodens. 26 verschiedene Moor-Naturraumtypen existieren in Mitteleuropa – Deutschland weist eine so hohe Vielfalt an Moorformen auf wie kein anderes europäisches Land. Hochmoore etwa sind sehr nährstoffarm und sauer und daher arten­ärmer. Allerdings sind sie reich an Spezialisten, die sich an die extremen Gegebenheiten anpassen können: So wachsen hier fleischfressende Pflanzen wie Wasserschlauch, Sonnentau oder Fettkraut. Um sich mit Eiweiß und Nährsalzen zu versorgen, fangen und verdauen sie Insekten. Torfmoose wiederum ziehen Nährstoffe aus dem Regenwasser, indem sie Wasserstoff-Ionen abgeben und so das Wasser versauern. Arten wie die Moosbeere versorgen sich über Mykorrhiza-Pilze. An hohe Feuchtigkeit angepasst sind auch viele Gräser wie Wollgräser und einige Sauergräser. Auch Moose kommen in besonders hoher Vielfalt im Moor vor, ebenso wie Blütenpflanzen wie Sumpf-Porst, Sumpf-Blutauge, Sumpf-Läusekraut oder Sumpf-Knabenkraut.

Cover Mooratlas

Der Mooratlas 2023

Der Mooratlas beleuchtet in 19 Kapiteln die Folgen der Zerstörung dieser einzigartigen Lebensräume und zeigt die Chancen nasser Moore und ihrer Nutzung für die Gesellschaft auf, um alle Akteur*innen zum Handeln zu ermutigen – „Moor muss nass“!

Gehölze wie Zwergbirke, Rosmarinheide oder Rauschbeere bleiben kleinwüchsig; Moorwälder und Bruchwälder – etwa aus Weiden, Birke oder Erle – entwickeln sich nur außerhalb der nassen Kernbereiche. Sie bilden zusammen mit Klein- und Großseggenrieden, Schlenken- und Torfmoosen ein kleinräumiges Mosaik unterschiedlicher Lebensgemeinschaften. Davon hängen wiederum viele Tierarten ab: beispielsweise der Hochmoorgelbling, dessen Raupen nur die auf Hochmoore beschränkte Rauschbeere fressen. Oder auch das Birkhuhn, der Kranich und die Bekassine aus der Familie der Schnepfenvögel. Wegen des hohen Wasserstandes bieten Moore ihnen während der Rast und Brut Schutz vor Fressfeinden. Und im kühl-feuchten Kleinklima der Moore haben sogenannte Glazialrelikte wie Hochmoorlaufkäfer oder Zwergbirke überlebt. Bis zum Ende der Eiszeit waren sie weit verbreitet; heutzutage findet man sie in Deutschland nur noch in Mooren. Intakte Moorlandschaften dienen aber auch als Rückzugsraum für viele weitere Arten, die ursprünglich auch anderswo heimisch waren. Etwa der Moorfrosch oder wiesenbrütende Vogelarten finden mittlerweile in entwässerten, strukturarmen und intensiv genutzten Landschaften keinen anderen Lebensraum mehr.

Mooratlas Infografik: Auswahl durch Moorzerstörung betroffener Pflanzen und Tiere in Deutschland
Habitat für Spezialisten: Um in Mooren wachsen und leben zu können, brauchen Pflanzen und Tiere enorme Anpassungsfähigkeit

Intakte Hochmoore und Niedermoore sind in Deutschland akut von vollständiger Vernichtung bedroht: rund 95 Prozent von ihnen gelten in Deutschland als degradiert. Dadurch werden alle eng ans Moor gebundenen Lebensräume und ein hoher Anteil ihrer Arten gefährdet. Ein berühmtes Beispiel ist der Seggenrohrsänger, der auch als Spatz der Niedermoore bekannt war. Heute gilt er als einzige global gefährdete Singvogelart in Europa. Der ökologische Zustand aller nach Europarecht geschützten Moor-Biotope wird als schlecht bewertet; die einzige Ausnahme stellen Moore in den Alpen dar. Mittlerweile stehen in Deutschland die meisten der noch existierenden naturnahen Moore unter Naturschutz. Knapp 6 Prozent der hiesigen verbliebenen Moorbodenfläche gelten als 
Natura 2000-Schutzgebiete. Sie umfassen über 90 Prozent der lebenden Hochmoore und bis zu 60 Prozent weiterer Moor-Lebensräume.

Damit das einzigartige Ökosystem Moor nicht völlig verschwindet, braucht es großflächige Renaturierung. Dadurch können hohe Verluste rückgängig gemacht und eine Rückkehr und Ausdehnung der Arten und Artengemeinschaften in ihre ehemaligen Lebensräume ermöglicht werden. Die konkrete Umsetzung des Moorschutzes auf nationaler Ebene scheitert jedoch noch oft daran, dass kurzfristiger profitorientierter Nutzung der Vorzug gegeben wird vor Nachhaltigkeit und Restaurierung. Auch in Deutschland geht die Umsetzung der zahlreichen Moorschutzprojekte nur schleppend voran. Grund dafür sind langwierige Antragsprozeduren, umständliche und unbequeme Planungsverfahren und fehlende rechtliche Verbindlichkeit. Gleichzeitig werden Moore trotz ihres existenzbedrohten Zustands weiterhin zerstört, zum Beispiel für den Neubau von Autobahnen. Die Ausrichtung der EU-Agrarpolitik sorgt außerdem dafür, dass sich Landwirtschaft auf entwässerten Böden nach wie vor mehr lohnt als die Wiedervernässung von Mooren.

 Renaturierung bedeutet: die Wiederherstellung nährstoffarmer Bedingungen und hoher Grundwasserstände durch Wiedervernässung sowie eine Anpassung der Nutzung oder natürliche Wildnis-Entwicklung. Je weniger zersetzt die Moorböden sind, desto schneller werden sie von anspruchsvollen Moorpflanzen besiedelt. Je großflächiger die ökologische Verbesserung gelingt, desto besser für Arten, Biotopverbund und die Resilienz der Moore. Moorschutz darf daher nicht reduziert werden auf Klimaschutz durch Moorbodenschutz mit fortwährender Nutzung in Paludikultur. Insgesamt muss es auch darum gehen, das Moor als Ökosystem mit all seinen Leistungen und seinem besonderen Beitrag zur Biodiversität zu stärken.