„In den Texten aus ihrer Jugend sehe ich mich selbst“

Statement

Imme Scholz fragt sich, wie sich Petra Kelly neu erfunden hätte und vermisst sie schmerzlich.

Imme Scholz, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung

 

Petra Kelly war eine ungewöhnliche, unbeirrbare, empathische und starke Frau, die politisches und moralisches Handeln nicht als Gegensatz verstand, sondern als anzustrebende Einheit. In den Texten aus ihrer Jugend sehe ich mich selbst, mit ihren Versuchen, sich selbst als Mensch und als politisches Wesen zu begreifen. Und ich teile ihr Politikverständnis, das auf Vielfalt, Kommunikation, gegenseitige Achtung und informierte Argumente setzt. Für Petra Kelly gehörte auch das Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit dazu – wie würde sie dies heute politisch interpretieren?

Sie war mit ihrem politischen Denken und kommunikativen Talent absolut außergewöhnlich, „one in a million“. Dazu gehört ihre Unbedingtheit, ihre scheinbar unerschöpfliche Energie, mit der sie buchstäblich Tag und Nacht für ihre politischen Ziele arbeitete, weil die notwendigen und radikalen Veränderungen keinen Aufschub duldeten. Es wundert nicht, dass sie nach dem Einzug der Grünen in den Bundestag mit den Flügelkämpfen und ihrer neuen Doppelrolle im Parlament nur schwer zurande kam, wie Ralf Fücks in „Petra Kelly. Eine Erinnerung“ (2007) beschreibt.

Wie hätte sie sich neu erfunden, nachdem sie diese Erfahrungen mit Partei und Bundestag verarbeitet hätte? Diese Frage bleibt schmerzhaft unbeantwortet; ihr gewaltsamer Tod macht mich auch dreißig Jahre später noch fassungslos. Ich bin sicher, dass sie ihren Raum gefunden hätte für ein wirksames politisches Engagement. Am 29. November 2022 wäre Petra Kelly 75 Jahre alt geworden.


Imme Scholz ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung