Grüner Wandel im globalen Rahmen

Analyse

Gerechter Übergang ist bisher nur als ein Fragment netten Umweltschutz-Jargons in Ost- oder Südosteuropa angekommen. Es fehlen Protagonist:innen, die stark genug sind, Bedingungen für eine machtvollere gesellschaftliche und politische Durchschlagskraft zu schaffen. Um innerhalb ökologischer Grenzen und unterhalb einer Erwärmung von 1,5° Celsius zu agieren, müssen wir auch weniger konsumieren. Bisher wurde Konsum ebenso wie Wachstum mit Wohlergehen und Wohlstand gleichgesetzt.

Ende Gelände Berlin visits BUND headquarters to remind people of the Paris Climate Agreement. The results of the coal commission are not compatible with the 1.5°C target.

Seit sowohl die Radikalität als auch die Hoffnung rund um das Konzept ‚nachhaltige Entwicklung‘ erodieren und dahinschwinden, wenn nicht sogar völlig aufgegeben werden, haben wir in den letzten Jahren neue Konzepte und Begriffe (oder zumindest neue Schlagworte für alte Ideen) kennengelernt, die aktuellen Debatten, theoretischen oder politischen Auseinandersetzungen und Konflikten entstammen. Das pluralistische Kaleidoskop dieser neuen Sprache umfasst Konzepte wie Degrowth, Commons, Klimagerechtigkeit, ökologische Transformation, ökologische Modernisierung oder gerechter Übergang; oft gehen diese einher mit konkurrierenden oder kollidierenden hegemonialen Bestrebungen, ‚One-Size-Fits-All‘-Lösungen zu liefern (was aber nie so ausgesprochen oder zugegeben wird). Dennoch bereichert jedes dieser Konzepte unser Verständnis der gegenwärtigen Krise um neue Nuancen radikaler Demokratie oder Umweltgerechtigkeit. Tatsächlich sollen diese transformativen Narrative als lebendige und mobilisierende Ideen maßgeblich dazu beitragen, den Rahmen und die Ziele kollektiven politischen Handelns zur Lösung der Klimakrise zu definieren, bei der niemand zurückgelassen werden soll. Wenn diese Konzepte jedoch keine Früchte tragen, werden die Enttäuschungen bitter und lang anhaltend sein. Und zukünftige Generationen werden mit ihrer Geduld am Ende sein und ihnen wird keine Zeit bleiben, mit diesem beschämenden Erbe umzugehen. Deshalb müssen wir diese Konzepte ernst nehmen und mehr von ihnen verlangen – mehr als sie jetzt bieten.

Übergang – einer der Lösungswege oder das eigentliche Ziel selbst?

Das Konzept des ‚gerechten Übergangs‘ wurde als übergreifender Rahmen eingeführt, an dem wir uns orientieren können, um unsere Transformation zu grünen Gesellschaften sozialverträglich und gerecht zu gestalten. Mit der Entwicklung dieses Konzepts machen Gewerkschaften und Klimabewegungen die Notwendigkeit einer systemischen Transformation deutlich. Ein gerechter Übergang bringt grundlegende Veränderungen mit sich, nicht nur in wichtigen Produktions- und Konsumsystemen wie Energie, Verkehr, Landwirtschaft und Ernährung, sondern auch in der Infrastruktur, in den gesellschaftlichen Werten und in der Politik. Darüber hinaus betont dieses Konzept die Notwendigkeit eines globalen Wandels hin zu einem humanen und gerechten Wirtschaftssystem, bei dem gesunde Ökosysteme, ein solides Gesundheitswesen, der öffentliche Dienst, sowie Bildung und Kultur im Mittelpunkt stehen.

Bereits seit mehr als einem Jahrzehnt beschreiben Gewerkschaften als Hauptakteurinnen des ‚gerechten Übergangs‘ den gerechten Wandel als „Instrument für einen schnellen und fairen Übergang zu einer kohlenstoffarmen und klimaresilienten Gesellschaft“. Sie fordern, dass „nationale Pläne zum Klimawandel … Maßnahmen für einen gerechten Übergang beinhalten, bei denen menschenwürdige Arbeit und qualifizierte Arbeitsplätze im Mittelpunkt stehen. Der branchenspezifische und wirtschaftliche Wandel, dem wir gegenüberstehen, ist von einem so enormen Ausmaß innerhalb eines so kleinen Zeitfensters wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Es gibt ein echtes Potenzial für gestrandete Arbeiter:innen und Gemeinschaften. Eine transparente Planung, die Maßnahmen für einen gerechten Übergang miteinbezieht, wird Ängsten, Widerstand und Konflikten zwischen den Gemeinschaften und Generationen entgegenwirken. Die Menschen brauchen eine Zukunftsperspektive, die sie begreifen lässt, dass es trotz der Bedrohungen sowohl Sicherheit als auch Chancen gibt.“

Als ob die Klimakrise nicht schon schwierig genug in Angriff zu nehmen wäre, machen die Bestrebungen für einen ‚gerechten Übergang‘ das Erreichen der Ziele noch schwieriger. Die Gewährleistung menschenwürdiger Arbeitsplätze, die Verbesserung der sozialen Sicherheit, die Schaffung von Chancengleichheit und der Abbau von Ungleichheiten – all diese Ambitionen sind nun gekoppelt an das Ziel, die globale Erderwärmung auf unter 1,5° Celsius zu beschränken und die wirtschaftlichen Tätigkeiten innerhalb der ökologischen Grenzen und auf einem niedrigen Kohlenstoffintensitätsniveau zu verorten. Beim gerechten Übergang ist die Bewältigung der Komplexität des Klimawandels mit der Forderung verbunden, soziale Ungleichheiten abzubauen und der Unsicherheit von Arbeitsplätzen zu begegnen, die von fossilen Brennstoffen oder anderweitig von der Rohstoffindustrie abhängig sind. Die Anforderungen und Erwartungen haben sich, wie wir sehen, deutlich nach oben verschoben.

Angesichts der weltweit rasant steigenden Armutsraten und zunehmenden Ungleichheit ist ein gerechter Übergang ohne eine grundlegende Neubewertung der globalen Wirtschaftslogik und der nicht zu rechtfertigenden neoliberalen und neokolonialen Regulierungen bedeutungslos. Entscheidend ist, dass wir einen tiefergreifenden Übergang diskutieren und ausarbeiten, „der die wirtschaftlichen und politischen Strukturen verändern könnte, die ihrerseits Ungleichheiten und Machtasymmetrien reproduzieren und verstärken. Ein solch radikaler Übergang erfordert eine Neudefinition von wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Wohlergehen. Im Mittelpunkt steht dabei die Schaffung von Arbeitsplätzen und -verhältnissen, die die Arbeitnehmer:innenrechte stärken und die Arbeitsbedingungen verbessern sowie die Gleichstellung der Geschlechter, die Bekämpfung rassistischer Benachteiligung, demokratische Teilhabe und soziale Gerechtigkeit fördern.“. Wiederum gilt es, bei solch ehrgeizigen Ambitionen das Risiko zu vermeiden, diese Versprechen nicht einlösen zu können.

Gerechter Übergang wird oft als eine von mehreren Sichtweisen bezüglich der erforderlichen oder ‚richtigen‘ Art und Weise der Umsetzung des ökologischen Wandels dargestellt, die insbesondere die Bedürfnisse und Interessen von Arbeitnehmer:innen, ihre Arbeitsbedingungen, den Sozialschutz und die Arbeitsfrage als solche in den Fokus nimmt. Diese als Übergang formulierte bzw. konzipierte Strategie erfordert als solche Zeit, was im Widerspruch zur Dringlichkeit – und Notfallsituation – der Klimakrise steht. Ökolog:innen votieren oft für die Dringlichkeit, Arbeiter:innen für einen schrittweisen Übergang. Wenn wir aber versuchen würden, diesen problematischen Konflikt zwischen Natur und Arbeit zu überwinden, kann der Übergang auch als das endgültige Ziel selbst interpretiert werden, als die endgültige Erfüllung der Aufgabe, als Umwandlung eines bestimmten Industriezweigs hin zu einer Wirtschaftstätigkeit, die innerhalb der ökologischen Grenzen agiert. Das bleibt abzuwarten.

Widersprüche wie Zeit, Wachstum…

Diskussionen und Pläne sind zwar in der Tat wichtig, aber ebenso wichtig ist die Umsetzung der Maßnahmen. Nach dem Scheitern der COP 26 in Glasgow können nur „sofortige, drastische, nie dagewesene jährliche Emissionssenkungen an der Quelle“1 als ausreichende Maßnahmen zur Lösung der Klimakrise gelten.

Dies ist keineswegs eine leichte Aufgabe. Der Klimanotstand, der sofortige und tiefgreifende systemische Maßnahmen erfordert, wird in dieselbe Schublade gesteckt wie die Notwendigkeit, den Arbeitnehmer:innen in den betroffenen Wirtschaftsbereichen einen schrittweisen Übergang zu gewährleisten, damit sie nicht auf der Strecke bleiben. Seit den 1970er-Jahren und dem Club of Rome ist die Menschheit gewarnt worden, dass Wachstum nicht unendlich sein kann und der Planet Grenzen hat. Somit kann es sich keine Maßnahme zur Einschränkung des ‚business as usual‘ leisten, nur schnell zu sein, sie muss sofort greifen! Ein halbes Jahrhundert war ausreichend Zeit für die Forschung und Planung.

Während wir uns politisch darauf einigen können, dass der grüne Wandel gerecht und fair sein muss, ist dieser zeitliche Widerspruch gleichzeitig ein schwierig zu handhabender, projektimmanenter Faktor des ‚gerechten Übergangs‘. Übergänge brauchen Zeit, verlaufen schrittweise und erfordern Anpassungen. Der Übergang feiert die Dimension des Prozesses, während die Dringlichkeit der Klimakrise diesen Luxus, den Luxus, den Prozess zu feiern, nicht zulässt. Die Zeit des Prozesses ist vorbei, jetzt ist es an der Zeit zu handeln. Dieses Spannungsverhältnis muss gelöst werden, wenn die Protagonist:innen des gerechten Übergangs geltend machen wollen, dass er mehr als ein vages Schlagwort im Sprachuniversum des Klimawandels ist.

Ein weiterer spannungsgeladener und nicht weniger heikler Aspekt ist das Wachstum. Unsere Volkswirtschaften und Industrien müssen innerhalb des Rahmens von 1,5° Celsius agieren. Das bedeutet, dass Unternehmen und Volkswirtschaften nicht weiter so wachsen können wie bisher. Sie müssen ihren Erfolg an anderen Werten und Messgrößen neu ausrichten und damit Wachstumskurven als Maßstab für ihren Erfolg aufgeben. Das wird sowohl ihren Produktivismus beeinträchtigen als gleichermaßen auch Auswirkungen auf die Konsumgewohnheiten haben, die erheblich reduziert werden müssen. Um innerhalb ökologischer Grenzen und unterhalb einer Erwärmung von 1,5° Celsius zu agieren, müssen wir auch weniger konsumieren. Bisher wurde Konsum ebenso wie Wachstum mit Wohlergehen und Wohlstand gleichgesetzt.

Noch bis vor Kurzem behaupteten ‚die Protagonist:innen des gerechten Übergangs‘, dass „ein gerechter Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft möglich ist und den Klimaschutz zu einem Motor für nachhaltiges Wirtschaftswachstum machen kann“.6 Deshalb stehen sie, allen voran die Gewerkschaften, jetzt vor einer riesigen Herausforderung – wie sie Degrowth und reduzierten Konsum in ihre Bilanzen des gerechten Übergangs integrieren können. Der gerechte Übergang kann durchaus vielen Industrien und Volkswirtschaften, denen erhebliche Reduzierungen ihrer CO2-Emissionen bevorstehen, die Option bieten, einen anderen Kurs einzuschlagen.

​​​​​Gerechter Übergang in der europäischen Halbperipherie

Allerdings sind solche Szenarien auf EU-Ebene bisher noch nicht einmal weiter ausgeführt worden, weder in Strategien wie dem europäischen Grünen Deal, die noch immer daran kranken, dass sie sich dem heiklen Thema der Wachstumsfrage nicht stellen und diese als sprichwörtlichen Elefanten im Raum stehen lassen, noch im Rahmen des ‚gerechten Übergangs‘, als einem der bedeutendsten jener Konzepte, die mit den Zielen des europäischen Grünen Deals vereinbar sind. Die bloße Reduzierung des europäischen Grünen Deals auf richtlinienbasierten Techno-Optimismus und die Umlenkung der Finanzströme hin zu sauberer(er) Energie hat in Bezug auf soziale Ungleichheiten, soziale Absicherung oder menschenwürdige Arbeitsplätze immer noch keinen wesentlichen Beitrag vorzuweisen.

Andererseits hat der Begriff ‚Übergang‘ in der europäischen Halbperipherie, insbesondere in Ost- oder Südosteuropa, einen irritierenden Beigeschmack. Vor allem weckt er Erinnerungen an die Misserfolge und Fehlschläge des sich über 30 Jahre erstreckenden ‚Übergangs‘ zu Marktwirtschaft und Demokratie; eine Zeit, die gleichzeitig Zeuge der schweren Finanzkrise, drastischer Sparmaßnahmen und des Niedergangs der demokratischen Entwicklung in Europa wurde – Letzterer einhergehend mit dem Aufstieg der extremen Rechten, dem Comeback des Autoritarismus und weiteren Einengungen des demokratischen Raums. Dieser Übergang sollte die ‚glorreichen Zeiten‘ des Wohlstands und Friedens zurückbringen, tat es aber nicht. Zudem ist dies ein Teil Europas, in dem der Klimawandel von den Entscheidungsträger:innen nicht ernst genug genommen wird, Kohle- oder Atomausstiege ständig verschoben werden und der gesamte Industriesektor am Boden liegt. Beim Gedanken an das Modell des gerechten Übergangs schwingt hier keine Hoffnung mit. Das muss sich ändern, wenn wir den gerechten Übergang ernst nehmen wollen.

Was ist der spezifische Kontext, auf den das Konzept des gerechten Übergangs hier trifft? Zuerst einmal handelt es sich um eine Gesellschaft, die völlig hypnotisiert ist vom Wachstumsgedanken und der Idee eines unbegrenzten Wachstums, das ‚uns dem Wohlergehen und dem Wohlstand näherbringt‘. In vielen Fällen teilen Gewerkschaften diese Perspektive, ohne sie ernsthaft zu hinterfragen. Zweitens handelt es sich bei den meisten der wenigen Industriezweige, die es geschafft haben, zu überleben, um Industriezweige mit hohem fossilen Brennstoffverbrauch. Demgegenüber sind Branchen oder Sektoren, in denen eine deutliche Verschiebung in Richtung Dekarbonisierung möglich wäre (z. B. durch eine Modernisierung der Eisenbahn), häufig von Privatisierung bedroht oder sie sind in klientelistischen oder parteipolitischen Netzwerken ‚gefangen‘. In diesen Fällen werden öffentliche Ressourcen im großen Umfang missbraucht oder zweckentfremdet, um andere Interessen zu bedienen, und daher gibt es keine wirkliche politische Macht hinter dem Engagement für Veränderungen.

Ein gerechter Übergang in diesem Teil Europas würde sich hauptsächlich auf den Energiesektor beziehen und den Übergang zu erneuerbaren Energien – ob in öffentlicher Hand oder im Besitz von Bürger:innen – mit einschließen. Er würde enorme Investitionen in die öffentliche Infrastruktur – in Energie, Wasser, Verkehr und Abfall – und eine stärkere bürgerliche Kontrolle über diese Regulierungsstrukturen beinhalten, wodurch die Priorisierung der Arbeitnehmer:innenrechte und der sozialen Absicherung sichergestellt würde. Nicht zuletzt müssten wirtschaftliche Industrieaktivitäten innerhalb der Grenzen von 1,5° Celsius geplant und durchgeführt werden. Beschäftigte, die in der fossilen Industrie oder anderen kohlenstoffintensiven Branchen tätig sind, müssten unterstützt werden, insbesondere in Regionen und Gemeinden, die überwiegend von diesen Wirtschaftsbereichen abhängig sind. Auch Unternehmen und neue Initiativen, die kohlenstoffarme oder kohlenstofffreie Prozesse als Grundlage ihrer Wirtschaftsweise anstreben, müssten als zusätzliche Arbeitgeber:innen für einige der Arbeitnehmenden unterstützt werden.

Der gerechte Übergang ist bisher nur als ein Bruchstück netten Umweltschutz-Jargons in der Region angekommen. Es fehlen Protagonist:innen, die stark genug sind, Bedingungen für eine machtvollere gesellschaftliche und politische Durchschlagskraft zu schaffen. Es fehlen auch konkrete Szenarien für bestimmte Branchen, die in einem bestimmten Zeitrahmen umgestaltet oder angepasst werden müssen. Diese beiden Aspekte sind Voraussetzungen dafür, dass gerechter Wandel mehr als ein vages Konzept ist und mehr als nur ein weiterer Übergang.
Und uns allen fehlt die Zeit…

Der Text ist Teil der nächsten Ausgabe der englischsprachigen Perspectives Südosteuropa „just green transition“ eine Übersetzung aus dem Englischen von Julia Rickers.


1) Greta Thunbergs Stellungnahme nach Abschluss der COP 26, 14. November 2021