„Ecological Civilization“ und Schutz biologischer Vielfalt – ein Blick nach China anlässlich der 15. Vertragsstaatenkonferenz der CBD

Interview

Die 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP 15) des UN-Übereinkommens über Biologische Vielfalt (CBD) startet mit einem Auftakt im Oktober 2021 in Kunming, China. Welche Bedeutung hat das Thema Biodiversität in China und welche Ziele verfolgt die chinesische Regierung mit der COP 15? Lili Fuhr, Referentin für internationale Umweltpolitik sprach mit unserem Büroleiter in Peking, Paul Kohlenberg.

Arbeiter:innen auf einer Gingkoplantage in China

Am 11. Oktober wird in Kunming, China, die 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP 15) des UN-Übereinkommens über Biologische Vielfalt (CBD) feierlich eröffnet. Für Oktober sind zunächst hochrangige Auftaktveranstaltungen geplant. Die eigentlichen inhaltlichen Verhandlungen werden wohl im späten Frühjahr 2022 stattfinden. Auf diesen Ablauf hatte sich die internationale Staatengemeinschaft und die chinesische Regierung nach langem Abwarten geeinigt.

Eigentlich hätte die COP 15 bereits im Oktober 2020 stattfinden sollen, wurde aber aufgrund der Pandemie mehrmals verschoben. Der zweite Teil der COP 15 soll nach jetzigem Stand dann bei einem physischen Treffen im April/Mai 2022 vollzogen werden. Dort soll dann auch das neue Biodiversitätsabkommen (Post-2020 Global Biodiversity Framework) verabschiedet werden, über das die CBD-Mitgliedsstaaten seit 2018 verhandeln.

Auch wenn die Eröffnung der COP 15 in Kunming im Oktober nicht mit direkter physischer Beteiligung ausländischer Delegationen stattfinden wird, so schaut die Welt doch diesen Herbst nach China. Doch welche Bedeutung hat das Thema Biodiversität eigentlich in der Volksrepublik? Welche Ziele verfolgt die chinesische Regierung mit der COP 15? Welche Herausforderungen gibt es, beispielsweise mit Blick auf die chinesische Landwirtschaft? Und welche Akteur*innen mischen sich in der größten Volkswirtschaft der Welt in die Debatte um den Schutz und die Nutzung biologischer Vielfalt mit welchen Positionen ein?

 

Lili Fuhr hat dazu mit unserem Büroleiter in Peking, Paul Kohlenberg, gesprochen:

Lili Fuhr: Wie wird in China über das Thema Biodiversität gesprochen? Gibt es eine direkte Übersetzung des Konzepts?

Paul Kohlenberg: Das Konzept der Biodiversität wird in China – direkt übersetzt als „shengwu duoyangxing“ – in den meisten Situationen durchaus sehr ähnlich verwendet wie in Europa. Interessant ist allerdings, dass Biodiversität im offizielleren chinesischen Diskurs häufig gemeinsam mit anderen Begriffen besprochen wird, die sich wiederum stark von unserem Umweltdiskurs unterscheiden.

Das heißt, die Konnotation des Begriffs Biodiversität ist in China schon etwas anders?

Entscheidend sind weniger die begrifflichen Unterschiede, sondern vor allem die Art und Weise wie die politischeren Aspekte des Themas Biodiversität in China diskutiert werden können. Die Kommunistische Partei Chinas gibt als Teil ihrer Herrschaftstechniken ein sogenanntes „Diskurssystem“ aus zentralen Konzepten bzw. Sprachregelungen vor. Diese müssen dann bei politisch relevanten Diskussionen fallen und sind dann so eine Art diskursiver Anker- oder Fixpunkt der offiziellen Linie in einem bestimmten Politikbereich. Für den Bereich der Umweltpolitik muss beispielsweise die „ökologischen Zivilisation“ in offizielleren Texten aktuell immer Erwähnung finden. In diesem Sinne ist die „ökologische Zivilisation“ dann eine Art semantischer Rahmen für andere umweltpolitische Konzepte wie Biodiversität.

Wenn eine chinesische Wissenschaftlerin einen Text für ein internationales Fachpublikum verfasst, ist sie nicht zwangsläufig verpflichtet, auf politische Begrifflichkeiten wie „ökologische Zivilisation“ zu verweisen. Aber wenn Akteure in China sich aktiv darum bemühen wollen, dass progressive Ansätze des Biodiversitätsschutzes wirklich implementiert werden, dann tendieren sie dazu, ihre Ideen mit den offiziellen Sprachregelungen in Beziehung zu setzen – um sowohl eine innenpolitische Legitimität ihrer Anliegen auszudrücken, aber auch, um durch das Hinzufügen von neuen Attributen zu diesen politischen Kernkonzepten den Gesamtdiskurs möglichst effektiv zu beeinflussen.

Wie kann ich mir das konkret vorstellen?

Das sieht man z.B. an chinesischen Debattenbeiträgen, die auf der einen Seite postulieren, dass Biodiversität ein wichtiges Maß einer „ökologischen Zivilisation“ sei. Auf der anderen Seite begrenzt in diesem Kontext aber das ungleich dominantere Konzept der „ökologische Zivilisation“ eben auch das kreative Potential, wie über den Schutz der Biodiversität überhaupt nachgedacht werden kann. Das heißt, diese Debattenbeiträge wiederholen dann, direkt oder indirekt, meist auch das in China dominante Mantra eines ökologischen Zivilisationsprozesses bei dem alte und neue Probleme durch Entwicklung zu lösen sind.Eine solch developmentalistischer Ansatz steht häufig in einem Spannungsverhältnis mit Perspektiven, die Restaurierung und Wiederherstellung betonen.

Heißt das, dass eine differenzierte Debatte zum Thema Biodiversität in China nur in einem engen vorgegebenen Diskursfeld stattfindet?

Nein, das kann man so nicht sagen. Chinesische Entscheidungsträger*innen und Theoretiker*innen sprechen durchaus sehr differenziert darüber, wie Zielkonflikte zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Naturschutz aufgehoben werden können. Aber das aktuelle umweltpolitische Kernkonzept Chinas – die „ökologische Zivilisation“ verkörpert eine Fortsetzung einer langen chinesischen Politiktradition, die Ökologie als Teil einer staatlichen Entwicklungserzählung interpretiert, in der dem Staat und der Partei eine interventionistische Rolle zugesprochen wird, um beispielsweise die Urbanisierung voranzutreiben oder die Landwirtschaft zu modernisieren. Die damit politisch vorgegebene Zentralität von Modernisierungs- und Entwicklungsgedanken beeinflusst somit, wie Begriffe wie „Biodiversität“ oder „Biodiversitätsschutz“ auf politischer Ebene eingeordnet werden.

Vielleicht können wir das nochmal an einem konkreten Beispiel anschauen. Was bedeutet das denn für den Zusammenhang von Biodiversität und Landwirtschaft?

Die gerade erwähnte Bevorzugung von Modernisierung, von Entwicklung und von techno-wissenschaftlichen Lösungsansätzen zeigt sich beispielsweise in Chinas Nationalem Aktionsplan (2011-2030) für die Umsetzung der UN Biodiversitätskonvention (CBD). Zwar werden darin Projekte genannt, die darauf abzielen, traditionelles Wissen zu katalogisieren oder (insb. das Genmaterial traditioneller Pflanzen) für die ländliche Entwicklung zu nutzen, aber dieses Dokument enthält kaum Reflektionen über den Beitrag, den eine Ausweitung von traditionellen Formen der Landwirtschaft für die Erhaltung der biologischen Vielfalt leisten kann – dabei gibt es in China durchaus landwirtschaftliche Anbauformen, mit der in den entsprechenden Regionen eine größere Artenvielfalt einhergeht. Der Fokus auf Modernisierung der Landwirtschaft ist aber aus vielen nachvollziehbaren Gründen schon lange ein Fokus der chinesischen Politik. Die Getreideproduktion Chinas stieg von 1982 bis 2017 um 74% Dabei hat sich allerdings auch der Einsatz von Pestiziden verdreifacht – und liegt dabei nun etwa fünf Mal über dem globalen Durchschnitt. Auch wenn es keine gute Datenlage zur Biodiversität in Chinas Agrarlandschaften gibt, sind die Konsequenzen für die Biodiversität rund um viele Felder besorgniserregend – nicht zuletzt, weil der Großteil dieser Gifte direkt in Boden und Grundwasser gelangt. Interessanterweise zeigt die Forschung aber auch, dass größere und technisierte chinesische Betriebe tendenziell weniger Pestizide einsetzen als kleinbäuerliche Betriebe.

Wie sieht es mit ökologischer Landwirtschaft aus?

Ökologischer Anbau ist zwar ein schnell wachsender Sektor in China, der Bio-Anteil liegt aber aktuell noch bei unter einem Prozent der landwirtschaftlich genutzten Gesamtfläche. Es lässt sich aber beobachten, dass einige junge Chinesinnen und Chinesen aus den urbanen Zentren in ihre Heimatdörfer zurückkehren, und neues Wissen über Bio-Anbau und Direktmarketing (E-Commerce) erfolgreich zum Einsatz bringen. Die Nachfrage nach chemisch unbelasteten Lebensmitteln durch die chinesische Mittelschicht verspricht in den nächsten Jahrzehnten zwar anhaltendes Wachstum, der Markt ist aber durch viele Faktoren beeinträchtigt: Neben der Preissensibilität der chinesischen Verbraucher*innen ist der Markt unter anderem auch dadurch begrenzt, dass China nicht auf der EU-Liste der Drittländer für Bio-Produkte steht und chinesischen Betrieben damit keinen Export in die EU ermöglicht.

Die Herausforderungen scheinen enorm. Kann denn eine COP 15 als Ereignis auch positive Auswirkungen in China selber haben?

In China sind sich die Entscheidungsträger*innen der Herausforderungen durch Umweltprobleme sehr bewusst. Es gibt viele chinesische Politikansätze, die ursprünglich einem anderen Impetus gefolgt sind – z.B. der Kampf gegen die Verwüstung, Klimaadaptation, Schutz von Überschwemmungsgebieten, Aufforstung, Eco-Tourismus etc. – sich aber, je nach Umsetzung, potentiell sehr positiv auf den Schutz der Biodiversität auswirken können. Auch aus diesem Grunde ist die Verbreitung und Vertiefung, die das Biodiversitätsthema rund um die Vertragsstaatenkonferenz in Kunming nun erfährt, für die weitere Entwicklung einer kohärenten Umweltpolitik in China sehr hilfreich.

Warum ist die Entwicklung und Umsetzung einer solchen kohärenten Umweltpolitik so schwierig?

Eine wiederkehrende Problematik der chinesischen Umweltpolitik im Allgemeinen und des Biodiversitätsschutzes im Speziellen liegt in der unklaren Trennung von Verwaltungskompetenzen bzw. der mangelnden institutionellen Autorität von Umweltbehörden gegenüber den lokalen Regierungen. Zum Beispiel wurden im Jahr 2002 Regeln zu sogenannten “Marinen Funktionszonen“ kodifiziert, das Meeresgebieten eine von zehn Kategorien zuwies, darunter z.B. Fischereiverwertungs- oder Tourismuszonen. Dieses innovative System traf international zunächst auf große Anerkennung, da es effektive Möglichkeiten für den Schutz der marinen Biodiversität versprach. Allerdings erhielten niedrige Regierungsebenen die Befugnisse zur Festlegung der Zonen – ohne dass die Zentralregierung, oder gar die Zivilgesellschaft, mitreden konnten. Folglich wurden wirtschaftliche Interessen priorisiert und der Schutz der Meeresumwelt weiterhin meist hintenangestellt. Chinesische Studien zeigen, dass China zwischen 1990 bis 2019 mehr als 60 % der ursprünglichen Küsten bzw. Uferzonen verloren hat, ein Trend, der besonders besorgniserregend ist, da es sich dabei um Gebiete handelt, die einst eine große biologische Vielfältigkeit besaßen. In ähnlicher Art und Weise ist die Verwaltung von Nationalparks in der Vergangenheit durch die wirtschaftlichen Interessen der lokalen Regierungen beeinträchtigt worden.

Gibt es denn in einigen Bereichen auch Grund für Optimismus?

Ja, durchaus. Mit Blick auf den eben erwähnten Küstenschutz werden laut Informationen des chinesischen Umweltministeriums im Rahmen des nächsten (aber bislang noch nicht veröffentlichten) „marinen Fünfjahresplans“ für mehr als 100 Buchten Restorationsprojekte geplant. Aktuell werden in China zudem wichtige neue Gesetze für ein neues Nationalpark- und Schutzgebietssystem verhandelt, die insbesondere auch die institutionellen Verankerungen und Strukturen der Nationalparkverwaltung stärken sollen. Das macht Hoffnung. Auch muss, trotz der beschriebenen Schwierigkeiten, der Prozess zur Einrichtung von Naturreservaten und Nationalparks seit den 1980er Jahren durchaus honoriert werden. Seitdem sind mehr als 2700 Schutzgebiete mit zahlreichen Bezeichnungen entstanden (z. B. Naturschutzgebiete, Welterbestätten, Meeresschutzgebiete etc.). Allerdings ist die Gesamtfläche dieser Gebiete laut chinesischer Studien zwischen 2007 und 2014 leicht zurückgegangen und deren geografische Verteilung (überwiegend in Westchina) stimmt nicht mit den Lebensräumen bedrohter Arten überein. Insgesamt besteht auch noch viel Spielraum, um deren jeweilige Biodiversitätsziele expliziter zu formulieren.

Das gilt übrigens auch für die bereits erwähnten Aufforstungsprogramme. China hat die eigene Waldfläche zwischen 1998 und 2014 um unglaubliche 60,15 Millionen Hektar erweitert. Allerdings überwiegen bei der Zunahme der Waldfläche oft artenreine (und auch nichtheimische) Baumplantagen. Größere Biodiversitätsgewinne könnten hier wohl mit vergleichsweise geringem Aufwand erzielt werden, wenn stärker auf einheimische, gemischte Bewaldung gesetzt werden würde. Diese letzteren Punkte werden in China aber durchaus diskutiert. Vor kurzem, am 18. August 2021, hat die chinesische Forst- und Grünlandverwaltung ihren Entwurf des kommenden Fünfjahresplans vorgelegt, der unter anderem vorsieht, den Mischwaldanteil bis 2025 auf 45% (aktuell sind es 41.9%) zu erhöhen. Das Mainstreaming von Biodiversitätsaspekten – z.B. in Flächennutzungsplanung, der Erstellung von Plänen zur wirtschaftlichen Entwicklung oder Umweltverträglichkeitsprüfungen – schreitet voran. Diese Entwicklungen sind erfreulich. Dazu gehört seit einigen Jahren auch die Möglichkeit, dass chinesische NGOs für den Artenschutz – im öffentlichen Interesse – Klagen gegen Entwicklungsprojekte einreichen können. Zwar ist die schwache Zivilgesellschaft nur selten in der Lage diese Klagen auch wirklich vorzubereiten und durchzuführen. Es gibt aber durchaus erfolgreiche Beispiele. Reformbedarf besteht aber weiterhin auch im Rechtsbereich. Beispielsweise ist das Strafmaß gegen individuelle Wilderer – meist arme Menschen aus Minderheiten –häufig viel zu hart. Sinnvoller ist ein Vorgehen gegen den organisierten Wildtierhandel, wie er im Nachgang des Covid-19 Ausbruchs in China durchaus zu beobachten war. Hier bleibt zu hoffen, dass das Wildtierschutzgesetz in Zukunft neben dem neuen Handelsverbot zur Lebensmittelverarbeitung – auch um striktere Verbote für die Nutzung von Wildtieren als Ziergegenstände oder Verwendung als Zutaten in traditioneller Medizin erweitert werden könnte.

Nun ist das Thema Biodiversität ja nicht nur mit Blick auf China selber spannend. China investiert ja weltweit in gigantische Infrastrukturprojekte, die durchaus auch eine Gefahr für den Erhalt und Schutz biologischer Vielfalt darstellen. Wie ist da der Stand der Debatte?

Auch mit Blick auf das Bearbeiten von Biodiversitätsfragen im Bereich der chinesischen Investitionen im Ausland bewegt sich etwas – jedoch aktuell eher im Bereich der nicht verbindlichen Übereinkünfte, Absichtserklärungen und Leitlinien. Diese Dokumente können aber durchaus wichtige Signale senden, wenn sie von zentralen Stellen der chinesischen Bürokratie verabschiedet werden. Beispielsweise haben Chinas Handelsministerium und das Ministerium für Ökologie und Umwelt kürzlich (Mitte Juli 2021) aktualisierte Entwicklungsleitlinien für Investitionen und Zusammenarbeit im Ausland herausgegebenen, welche die Befolgung von internationalen Umweltstandards stärker als zuvor betonen – und (im Vergleich zum Vorgängerdokument von 2013) dabei immerhin auch explizit auf internationale Abkommen wie die Biodiversitätskonvention Bezug nehmen. Hier besteht aber noch viel Raum für verbindlichere Regeln.

Jetzt haben wir viel über die Rolle und die Perspektive der Regierung gesprochen. Welche zivilgesellschaftlichen Akteur*innen arbeiten in China denn zum Thema Biodiversität und mit welchen Zugängen, Herausforderungen und Erfolgen?

Auch wenn sich ganz unterschiedliche chinesische gesellschaftliche Akteur*innen schon lange für diverse Umwelt- und auch Artenschutzthemen einsetzen, ist das Thema Biodiversität, per se, eher ein Nischenthema, mit dem sich nur eine kleinere Anzahl von professionellen NGOs beschäftigt. Diese Organisationen spielen aber eine wichtige Rolle dabei, chinesische Entscheidungsträger*innen für Biodiversitätsperspektiven zu sensibilisieren. Beispielsweise gelingt es Organisationen wie Greenovation Hub, chinesische Finanzinstitutionen und Banken durch Workshops und Trainings zur Reflektion über neue Konzepte wie „Biodiversitätsrisiken“ nahezubringen. Für letztere geht es dann darum, inwiefern interne Kreditvergabeprozedere und Prüfungen (insb. für Kredite an chinesische Firmen) entsprechend erweitert werden können. Die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet mit Greenovation Hub aktuell daran Finanzierungslücken für die Erhaltung der biologischen Vielfalt in ASEAN zu identifizieren und chinesische Finanzinstitutionen in diesem Kontext mit Blick auf das Management von Biodiversitätsrisiken zu involvieren.

In anderer Art und Weise setzt Chinas älteste Umwelt-NGO Friends of Nature (FON) bei der Biodiversitätsthematik unter anderem einen rechtlichen Fokus. FON versucht eigene Empfehlungen und Kommentare in Umweltgesetzgebungsprozesse einfließen zu lassen und hat selbst bereits etwa ein Dutzend Umweltverbandsklagen zu Biodiversitätsfragen eingereicht. Die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet derzeit mit FON unter anderem daran, junge Menschen in China für die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu sensibilisieren und einzubinden.

„Grassroots“-NGOs bleiben weiterhin zu vielen konkreten Umwelt- und Artenschutzfragen aktiv – es ist aber in den letzten Jahren sowohl für ausländische als auch für inländische NGOs deutlich schwieriger geworden, sich erfolgreich zu registrieren - und gerade neue Umweltinitiativen können die eigene Arbeit nur mit erheblichem Aufwand rechtskonform aufnehmen.

Andere gesellschaftliche Gruppen, wie zum Beispiel die wachsende Community der chinesischen Bird-Watcher, tragen zudem dazu bei, die Datenlage zur Artenvielfalt zu verbessern. Die CBD-COP in Kunming wird dieser Szene von „citizen-scientists“ hoffentlich einen weiteren Anstoß geben. Die genauere Kartographierung von Lebensräumen schafft eine wichtige Grundlage, um beispielsweise die Risiken des Kollapses von Ökosystemen international vergleichbar zu diskutieren oder, im Rahmen der bevorstehenden CBD-Verhandlungen, Indikatoren einer erfolgreichen nationalen Biodiversitätspolitik entwickeln zu können. Zwar hat sich die chinesische akademische Forschung zu Biodiversitätsthemen in den letzten Jahren rapide entwickelt, aber es bleibt eine riesige Aufgabe. China gehört zu den wenigen Ländern mit dem gesamten Spektrum an Klimazonen – von den Tropen bis zu den kalten gemäßigten Zonen.

Kommen wir am Ende noch einmal zurück zur COP 15 selber.  Was bedeutet das Austragen eines internationalen Großevents für China in diesen Zeiten? Wie möchte China von der Welt wahrgenommen werden?

Im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz in Kunming soll ja ein komplett neuer Rahmen – neue Kriterien, Ziele und Verfahren – für den globalen Biodiversitätsschutz gefunden werden. Das ist auch der Grund, weshalb der Verhandlungsprozess nicht komplett online stattfinden kann. Irgendwann müssen die Delegationen an einem Ort gemeinsam verhandeln und effizient kommunizieren können. Da China bislang an einer „Zero-Covid“ Strategie festhält, soll im Oktober zunächst eine Auftaktveranstaltung stattfinden, bei der die hochrangigen Gäste virtuell dazugeschaltet werden und im April/Mai 2022 sollen dann die substantiellen Verhandlungen vor Ort folgen.

Chinas Führung hat in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, dass sie hochrangige politische Gipfel hochprofessionell durchführen können. Als Gastgeber verspricht sich China dabei eine positive Wirkung nach außen – als Weltmacht mit Führungsanspruch in allen wichtigen internationalen Politikbereichen – aber auch nach innen – um der Bevölkerung zu zeigen, dass China respektiert wird und das (eingangs erwähnte) spezielle Vokabular des chinesischen „Diskurssystems“ im Rahmen internationaler Events eine externe Legitimation erhält. Aus letzterem Grund werden diese Mega-Events zwangsläufig der innenpolitischen Ästhetik angepasst. Die Hochglanzoptik bei der Präsentation chinesischer Errungenschaften und steife zeremonielle Abläufe wirken auf ausländische Beobachtende teilweise effekthaschend und befremdlich.

Und was heißt das für die Verhandlungen selber? Mit welchen Positionen geht China da rein?

Für die substantiellen Inhalte, die im Rahmen der COP-15 beschlossen werden sollen, bietet die Haltung Chinas als Weltmacht mit Führungsanspruch sowohl Chancen als auch Risiken. Beispielsweise möchte die chinesische Seite bereits im Oktober – also vor den eigentlichen Verhandlungen des kommenden Jahres – als Abschluss der hochrangigen Auftaktveranstaltung schon eine „Kunming Declaration“ verabschieden und Side-Events wie das „Ecological Civilization Forum“ durchführen. Es besteht ein gewisses Risiko, dass zumindest der fachfremde Teil der chinesischen Führung damit dann die politischen Früchte der Kunming-COP als größtenteils geerntet betrachtet und die politische Zugkraft des Gastgebers anschließend abschwächt. Letzteres ist auch deswegen relevant, weil weiterhin offen ist, inwiefern China seine Grenzen im Jahr 2022 wirklich für die Reisen der Verhandlungsdelegationen nach Kunming öffnen wird.

Gleichzeitig bestehen aber auch plausible Aussichten darauf, dass China den Prozess pragmatisch und langfristig nutzen wird, um sich als verantwortungsvolle Weltmacht zu präsentieren. Aktuell melden allerdings einige der direkt an den Verhandlungen beteiligten Personen zurück, dass das Gastgeberland bisher noch keine starken Positionen eingenommen hat. Das mag allerdings auch daran liegen, dass China bislang über eher begrenzte diplomatische Erfahrungen in diesem Bereich verfügt oder sich als Gastgeber zunächst eher zurückhalten will.

Es gibt aber durchaus Themen, in denen China sich mit viel Expertise und Know-how einbringen kann. Die Genese und Überprüfung von Biodiversitätsdaten könnten z.B. ein Bereich sein, in dem China eigene technische Lösungen präsentieren möchte bzw. zur eigenen Profilierung nutzen könnte. Ein Fokus auf Implementierung, Finanzierung und Messung von (nationalen) Biodiversitätszielen wird ohnehin notwendig sein, wenn sich die Enttäuschungen der internationalen Biodiversitätspolitik des letzten Jahrzehnts nicht wiederholen sollen. Grundsätzlich gibt es aber bislang wenig offizielle Statements von der chinesischen Seite dazu, welche konkreten Verhandlungsergebnisse im Rahmen der COP-15 erhofft oder erwartet werden.

Paul - Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!