Ein Technofix für das Klima? Die Interessen hinter dem Geoengineering im Meer

Hintergrund

In der internationalen Debatte über Lösungsansätze für die Klimakrise drängen Geoengineering-Technologien immer stärker auf die politische Tagesordnung. Geoengineering bezeichnet großtechnologische Ansätze, die das Klima und die globalen Ökosysteme manipulieren sollen. Vordergründig wird der Zweck verfolgt, die Klimakrise oder ihre Effekte einzudämmen. Auch die Meere stehen im Visier der Geoengineering- Befürworter/innen. Allerdings beinhalten die Ansätze erhebliche Risiken. Die Interessen und Akteure, die sie vorantreiben, agieren mitnichten nur altruistisch.

Bild von Eisschollen im Meer
 

Die Ozeane haben in den vergangenen Jahrzehnten einen Großteil der anthropogenen Treibhausgase aufgenommen. Schätzungen zufolge wird rund ein Drittel der CO2-Emissionen von den Weltmeeren „geschluckt“. Das hat gravierende Folgen: Das aufgenommene CO2 führt zur Versauerung der Meere, was Korallen und andere Meereslebewesen stark beeinträchtigt und die marine Biodiversität und die darauf aufbauenden Nahrungsketten gefährdet. Zudem greifen wir mit unseren auf Extraktivismus basierenden Produktions- und Konsumweisen tief in die marinen Ökosysteme ein und setzen sie mit Plastikvermüllung, Vergiftung, Schiffsverkehr, Öl- und Gasförderung und Überfischung bereits erheblichem Stress aus.

Zeitgleich rückt auch das marine Geoengineering in den Fokus der Öffentlichkeit: Einerseits das sogenannte Carbon Dioxide Removal (CDR; teilweise auch Negativemissionstechnologien genannt), das der Atmosphäre CO2 entziehen soll; andererseits Methoden des globalen Strahlungsmanagements (Solar Radiation Management, SRM), bei denen einfallendes Sonnenlicht abgeschirmt – etwa, indem Partikel in die Stratosphäre eingebracht werden – oder die Rückstrahlfähigkeit der Erde erhöht werden soll, beispielsweise durch das Aufhellen von Oberflächen.

CDR und SRM

Beide Ansätze sollen auch beim Geoengineering im Meer zur Anwendung kommen. Ein oft diskutierter Vorschlag für marines CDR ist die sogenannte Meeresdüngung. Dabei sollen große Mengen an Eisen oder anderen Nährstoffen ins Meer eingebracht werden, um das Wachstum von Algen anzuregen. Die Algen – genauer: das Phytoplankton – sollen dann per Photosynthese CO2 an der Wasseroberfläche binden und danach – so die Theorie – auf den Meeresboden absinken und das CO2 dort dauerhaft speichern. In der Vergangenheit gab es bereits rund ein Dutzend international sehr kontrovers diskutierte Freilandexperimente, an denen auch deutsche Forschungsteams beteiligt waren.

Neuere Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass die Meeresdüngung extrem ineffektiv ist, da die Algen vor allem von anderen Meereslebewesen gefressen werden und das CO2 dadurch in den marinen Nahrungsketten landet, anstatt auf den Boden abzusinken. Bei aller Ineffektivität birgt die Meeresdüngung außerdem erhebliche Risiken für die marine Umwelt: Zum Beispiel können giftige Algenblüten durch Überdüngung entstehen sowie Sauerstoffarmut in den betroffenen Meeresregionen. Insgesamt wird mit dem zusätzlichen Eintrag von Substanzen bei der Meeresdüngung tief in die ohnehin unter Stress stehenden marinen Ökosysteme eingegriffen – mit schwerwiegenden Risiken und Nebenwirkungen für die marine Umwelt.

Auch SRM soll im Meer angewandt werden. Dabei geht es vor allem um das Aufhellen von Meeresoberflächen: Dunkle Oberflächen absorbieren mehr einfallendes Sonnenlicht als helle, wie zum Beispiel Eisflächen. Deshalb, so die Geoengineering-BefürworterInnen, sollten Meeresoberflächen mit Mikrobläschen, künstlichem Schaum oder Ähnlichem großmaßstäblich aufgehellt werden. Die Organisation Ice911 testet solche Ansätze in der Arktis schon seit einiger Zeit und will diese Experimente in den nächsten Jahren ausweiten: Dann sollen kleine, hohle Kügelchen aus Kieselerde tonnenweise auf arktischem Meereis ausgebracht werden, um dessen Abschmelzen zu verhindern.

Dabei ist klar, dass das großmaßstäbliche Abdecken von Meeresoberflächen die marinen Ökosysteme darunter von Sonnenlicht und Sauerstoffzufuhr abschotten würde. Auch andere Umweltauswirkungen der Stoffe, die dabei in großen Mengen eingebracht werden, sind völlig unklar.

Hinter Geoengineering stecken Technologiegläubigkeit …

Warum wird Geoengineering im Meer vorangetrieben, wenn die Erfolgsaussichten zweifelhaft, schwere Risiken und Nebenwirkungen für die marinen Ökosysteme aber absehbar sind? Dafür lassen sich unterschiedliche Erklärungsansätze finden. Zum einen wird Geoengineering angetrieben von einer „Technofix“-Mentalität, die darauf vertraut, soziale und ökologische Probleme und Krisenerscheinungen mit (groß-)technologischen Ansätzen lösen zu können.

Diese Weltsicht ist geprägt von der grundsätzlichen Möglichkeit der Naturbeherrschung durch den Menschen. In aller Regel werden dabei Komplexität und Dynamik der natürlichen Prozesse und Ökosysteme ausgeblendet. Für die Meere gilt das im Besonderen. Das menschliche Verständnis von den Ozeanen ist noch begrenzter als bei vielen Land-Ökosystemen. Geoengineering wird vor allem von natur- und ingenieurwissenschaftlicher Seite vorangetrieben. Oder um genau zu sein, vor allem von männlichen Forschern an solchen Forschungsinstituten des Globalen Nordens – und damit in denjenigen Ländern, die die Klimakrise vorrangig verursacht haben.

Der große Fallstrick einer solchen mechanistischen Perspektive auf die Welt ist ihre Eindimensionalität und ihr Reduktionismus: Geoengineering etwa zielt ab auf die CO2-Konzentration in der Atmosphäre oder die Rückstrahlfähigkeit der Erdoberfläche, nicht jedoch auf die zugrundeliegenden Ursachen und Treiber der Krise. Dass die Risiken und Nebeneffekte dieser großindustriellen „Technofixes“ aber die Probleme höchstens verlagern, wird dabei genauso ignoriert wie dass sie gleichzeitig neue schaffen und andere globale Krisen verschärfen können.

… und harte ökonomische Interessen

Hinter marinem Geoengineering stehen aber auch sehr direkte kommerzielle bzw. ökonomische Interessen. Verschiedene Firmen, die Meeresdüngung testen und vorantreiben oder das in der Vergangenheit versucht haben, sind ganz konkret an der Generierung von Emissionszertifikaten interessiert. Sie wollen sich die Tonnen CO2, die sie angeblich aus der Atmosphäre geholt haben, zertifizieren lassen und an Unternehmen verkaufen, die damit ihre Treibhausgasemissionen kompensieren wollen. Das nennt sich dann „Offsetting“ und ist praktisch für die, die weiter emittieren oder mit Geoengineering Geld verdienen wollen. Was dabei gerne übersehen wird: Das geht als „Lösungsansatz“ an den Ursachen der Klimakrise – dem Verbrennen fossiler Rohstoffe – völlig vorbei.

Aus genau diesem Grund ist Geoengineering auch für die fossilen und für andere klimaschädlichen Industrien von großem Interesse. Ob mittels direktem Emissionshandel oder einfach nur, weil mit der Aussicht auf einen Technofix für die Klimakrise die bestehenden Geschäftsmodelle nicht hinterfragt werden müssen. Geoengineering dient denjenigen als Ausrede, die ohnehin den Status Quo aufrechterhalten wollen. Daher sprechen sich mehr und mehr große Unternehmen für die Erforschung und Entwicklung von CDR-Technologien aus, darunter auch Konzerne wie Microsoft oder Amazon.

Das Zusatzprotokoll der Londoner Übereinkunft über die Verhütung der Meeresverschmutzung, einer internationalen Konvention, verbietet seit 2013 konsequenterweise die kommerzielle Anwendung von Meeresdüngung aufgrund der Risiken für die marinen Ökosysteme. Dieser Regulierungsmechanismus bietet auch die Möglichkeit, weitere Technologien des marinen Geoengineerings zu verbieten.

Auch bei Technologien oder Projekten zu SRM ist ein kommerzielles und wirtschaftliches Interesse leicht erkennbar. Zum einen haben auch die Entwickler/innen von SRM-Technologien eine Vielzahl von Ansätzen bereits patentieren lassen. Zum anderen fließen erhebliche Geldsummen aus dem Silicon Valley sowie Rendite suchendes Kapital aus dem Finanzsektor in die Entwicklung von Geoengineering-Technologien.

Eine direkte Kommerzialisierung der Technologien scheint erst einmal weniger naheliegend. Jedoch ist auch das nicht ausgeschlossen. SRM-Technologien könnten etwa in internationale Marktmechanismen integriert werden, wenn SRM erst als „Klimaschutz“ anerkannt wird. So könnte der Ansatz dann auch für klimaschädliche Industrien als „Ausgleichsmaßnahme“ interessant werden.

Aber auch autoritäre Regierungen und/oder diejenigen Staaten, in denen die Ölindustrie eine wichtige Rolle spielt (u. a. die USA und Saudi-Arabien), entwickeln ein zunehmendes politisches Interesse an Geoengineering. Beide Länder haben bei der Umweltversammlung der Vereinten Nationen 2019 einen Schweizer Vorstoß zu einer möglichen internationalen Regulierung von Geoengineering blockiert und zum Scheitern gebracht. Es sind also durchaus auch Szenarien denkbar, in denen Geoengineering mit öffentlichen Mitteln finanziert wird und darüber ein finanzieller Anreiz der Technologieentwicklung entsteht. Die USA beispielsweise haben Ende 2019 erstmals öffentliche Gelder für die Erforschung von SRM-Technologien in den Haushalt eingestellt.

Auch an renommierten Forschungsinstituten wie dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) werden solche großmaßstäblichen technologischen Eingriffe erforscht (jedoch nicht entwickelt) – unter anderem ein Ansatz, um ein Kollabieren des westantarktischen Eisschilds zu verhindern, das im Verlauf von mehreren Jahrhunderten zu einem Meeresspiegelanstieg von zwei bis drei Metern führen würde. Dabei erkennen die Forscher/innen bereits an, dass die schädlichen Folgen für die Region „verheerend“ sein könnten. Bei dieser Art der Forschung an (marinem) Geoengineering stehen wirtschaftliche Interessen zwar nicht unmittelbar im Vordergrund. Sie ist aber doch Ausdruck davon, dass der Einsatz von Hochrisikotechnologien mitunter für „realistischer“ gehalten wird als unsere Produktions- und Konsumweisen zu verändern und die tatsächlichen Ursachen der vielfältigen ökologischen und sozialen Krisen zu adressieren.

Dieser Artikel erschien zuerst im Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2020, Seiten 23-25.