Die EU muss ihre Prioritäten für Ägypten ändern

Die EU setzt in ihrer Ägyptenpolitik auf Stabilität statt auf Reformen. Trotz massiver Repressionen unter Abdel Fatah al-Sisi setzen EU-Staaten ihre Lieferungen von Waffen und Überwachungsmaterial fort. Die Verhandlungen zu den 2017 beschlossenen Partnerschaftsprioritäten zwischen der EU und Ägypten waren eine vertane Gelegenheit, um Freiheitsrechte für zivilgesellschaftliche Akteure einzufordern.

Kairo
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Kairo, Ägypten

Während der 30-jährigen Amtszeit von Präsident Husni Mubarak galt für die EU und ihre Mitgliedstaaten die Devise, dass Ägypten als Stabilitätsanker in der Region am besten durch eine stabile Führung garantiert wird. Die Proteste gegen Mubarak und das Ende seiner Herrschaft im Frühling 2011 trafen die EU und ihre Mitgliedstaaten unvorbereitet.

Nach dem Putsch von General Abdel Fatah al-Sisi gegen den ein Jahr zuvor demokratisch gewählten Präsidenten Mohammad Mursi reiste die damalige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton im Juli 2013 mehrfach nach Kairo, um zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.  In einer Stellungnahme vom 14. Juli 2013 äußerten sich die EU-Außenbeauftragte ebenso wie eine Woche später der EU-Außenministerrat besorgt über die Gewalt und die Verhaftungswelle, die mit dem Umsturz einhergingen. Sie vermieden es allerdings, den Putsch zu verurteilen.

Waffenexporteure

Erst nach der blutigen Niederschlagung der Proteste von Unterstützern Mohammad Mursis am 14. August 2013 mit mehr als 900 Toten, reagierte der EU-Außenministerrat mit der Ankündigung von Maßnahmen. So beschlossen die EU-Außenminister/innen auf einem außerordentlichen Treffen am 22. August 2013 die Aussetzung von Ausfuhrgenehmigungen für „jegliche Ausrüstung, die für interne Repressionen genutzt werden kann“. Außerdem sollten Lizenzen für Waffenexporte und die Hilfe in Sicherheitsfragen überprüft werden.

Der EU-Außenministerrat bekräftigte zwar die beschlossenen Exportrestriktionen ein weiteres Mal im Februar 2014, allerdings wurden keine Maßnahmen ergriffen, um deren Umsetzung zu kontrollieren. So stellt ein Bericht von Amnesty International im Mai 2016 fest, dass trotz EU-Außenministerbeschluss 12 EU-Mitgliedstaaten weiterhin zu den wichtigsten Lieferanten von Waffen und Polizeiausrüstung an Ägypten gehörten. Allein im Jahr 2014 haben EU-Staaten Waffenexporte nach Ägypten mit einem Gesamtvolumen von über 6 Milliarden Euro genehmigt. Dem Bericht zufolge lieferten Firmen aus Deutschland, Italien und Großbritannien auch Überwachungstechnik oder -ausrüstung.

Normalisierungsinteressen

Nach anfänglicher Zurückhaltung und trotz zunehmender Repressionen unter al-Sisi strebten einige Mitgliedstaaten schon bald eine Normalisierung der Beziehungen mit Ägypten an. Zweifelsohne spielen für die EU als größtem Handelspartner Ägyptens wirtschaftliche Interessen eine zentrale Rolle. Abgesehen von lukrativen Waffengeschäften haben einige Mitgliedsstaaten ein besonderes Interesse, ihre Kooperation mit Ägypten im Energiesektor auszubauen. So erhielt Siemens im Jahr 2015 mit dem Zuschlag zum Bau von drei Gaskraftwerken den größten Auftrag seiner Geschichte.

Allerdings kann die Menschenrechtssituation in Ägypten auch zu einem Problem für europäische Investitionen werden. Nachdem im Jahr 2015 der italienische Konzern ENI riesige Gasvorkommen vor der ägyptischen Küste entdeckte hatte, wurden die italienisch-ägyptische Beziehungen durch den Mord an dem italienischen Doktoranden Giulio Regeni im Februar 2016 in Kairo schwer belastet. Im Kontext von Hinweisen, dass der ägyptische Sicherheitsapparat in Folter und Mord von Giulio Regeni involviert war, berief Italien im April 2016 seinen Botschafter ab. Obwohl die Täter nicht identifiziert wurden, beschloss die italienische Regierung ein Jahr später, den Botschafterposten wieder zu besetzen.

EU-Menschenrechtsrhethorik ohne Konsequenzen  

Das Europäische Parlament hat in den vergangenen Jahren eine Reihe Entschließungen verabschiedet, die in deutlichen Worten Menschenrechtsverletzungen in Ägypten anprangern. Darunter sind Dringlichkeitsentschließungen gegen die willkürliche Inhaftierung des ägyptisch-irischen Jugendlichen Ibrahim Halawa (Dezember 2015) sowie anlässlich der Ermordung des italienischen Doktoranden Giulio Regeni (März 2016) und gegen Hinrichtungen (Januar 2018).

Von ägyptischer Seite wird EU-Kritik an der Menschenrechtssituation regelmäßig zurückgewiesen, allerdings ist auch für die ägyptische Führung offenkundig, dass derartige Kritik weitgehend ohne Folgen bleibt. Die EU-Nachbarschaftspolitik nach dem „Prinzip Zuckerbrot“, die nach dem sogenannten „Arabischen Frühling“ kurzfristig Anwendung fand und für mehr demokratische Reformen auch mehr EU-Unterstützung vorsah, ist inzwischen weitgehend ad acta gelegt. Im November 2015 stellte die EU die Neuausrichtung ihrer Nachbarschaftspolitik vor, die neben der Förderung von Reformen die Bereiche Sicherheit und Migration zu neuen Schwerpunkten der Zusammenarbeit macht.

Falsche Prioritäten

Auf der Grundlage der erneuerten EU-Nachbarschaftspolitik begannen Anfang 2016 Verhandlungen zu den EU-Ägypten-Partnerschaftsprioritäten.  Dieses Übereinkommen hebt die Kooperation insbesondere in den Bereichen Wirtschaftsentwicklung, Außenpolitik und Stabilisierungsmaßnahmen hervor. Außerdem hebt das Dokument die Bedeutung „der Zivilgesellschaft als wichtigen und starken Mitwirkenden für die Umsetzung der Partnerschaftsprioritäten“ hervor. Dies hinderte die ägyptische Führung allerdings nicht daran, noch während der Verhandlungen den Entwurf für ein drakonisches NGO-Gesetz vorzulegen, das den Behörden weitreichende Kontrolle über Finanzierung und Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen einräumt.

Nachdem al-Sisi im Mai 2017 dieses Gesetz trotz massiver internationaler Kritik unterzeichnete, hätte die EU ein deutliches Zeichen setzen müssen. Trotz der Proteste ägyptischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen fand im Juli 2017 der Assoziierungsrat der EU und Ägyptens statt, zu dem die Partnerschaftsprioritäten formal angenommen wurden.

Demokratie und Menschenrechte als Priorität

Im Januar 2018 veröffentlichte das Europäische Parlament eine Expertenstudie mit dem Titel: „A stable Egypt for a stable region“. Der Titel mag den Verdacht aufkommen lassen, dass die Studie den EU-Fokus auf Stabilität in seinen Beziehungen mit Ägypten legitimieren soll. Tatsächlich beurteilt die Studie die Ägyptenpolitik der EU kritisch und fordert insbesondere eine einheitlichere Vorgehensweise der EU Mitgliedsstaaten. Die abschließenden Empfehlungen an die EU nennen zu Recht an erster Stelle die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Die Botschaft an die EU ist klar: Mittels Repressionen kann langfristig keine Stabilität erreicht werden, denn ohne Reformen hat Ägypten keine Zukunft.