"REDD+-Zahlungen machen stehende Wälder wertvoller als gerodete"

Warum verhindert REDD+ dann aber Entwaldung nicht?

Entwaldung in Australien

2006 stellte der ehemalige Chefökonom der Weltbank Sir Nicolas Stern den einflussreichen Stern-Bericht: "Der wirtschaftliche Aspekt des Klimawandels" vor. Der Bericht betont die Bedeutung von Wäldern für den Klimaschutz und erklärt die Reduzierung von Entwaldung zur "low hanging fruit", einem extrem kostengünstigen und schnellen Weg zur Emissionsminderung. Er bezieht sich dabei auf einen marktbasierten Ansatz, der im Kontext der UN-Klimaverhandlungen entwickelt wurde und seit 2005 unter dem Kürzel REDD diskutiert wird. REDD steht für das Konzept, Emissionen aus Entwaldung und zerstörerischer Waldnutzung in sogenannten Entwicklungsländern zu reduzieren (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation).

Die zentrale Grundannahme hinter dem Konzept lautet: Um erhalten zu werden, muss Wald stehend einen höheren Wert haben als gerodet. Dabei soll Kohlendioxid der ökonomische Hebel sein, der dafür sorgt, dass sich Walderhalt in Geld auszahlt. Die Idee: Wird Entwaldung vermieden, bleibt auch der Kohlenstoff im Holz und in den Wurzeln von Bäumen gespeichert. Auf dieser Grundlage lässt sich berechnen, wie viele Tonnen Kohlendioxid nicht in die Atmosphäre gelangt sind. Entsprechend dieses Wertes können Waldbesitzer/innen für die vermiedene Entwaldung – und damit die vermiedene Freisetzung von Kohlendioxid – entlohnt werden. Deshalb gilt REDD als Instrument für marktkonformen Waldschutz.

Das REDD-Konzept wurde im Laufe der Diskussionen erweitert. Mittlerweile können neben vermiedener Entwaldung auch Waldschutzmaßnahmen, nachhaltige Waldnutzung und Aufforstung als Beitrag zur Treibhausgasminderung angerechnet werden. Zunehmend werden auch in der Landwirtschaft emissionsmindernde Maßnahmen integriert. Für diese Erweiterungen steht das „Plus“ in der mittlerweile gängigen Bezeichnung „REDD+“.

Abholzung und Nutzung der gerodeten Flächen sind wirtschaftlich profitabler als Zahlungen aus REDD+

Nach 12 Jahren Erfahrung mit REDD+ wissen wir, dass die Gleichung 'Zahlung für vermiedene Freisetzung von Kohlendioxid übersteigt die Erlöse von Waldrodung' nicht funktioniert: Abholzung und Nutzung der gerodeten Flächen für die industrielle Landwirtschaft sind wirtschaftlich fast immer profitabler als eine Vergütung für die Kohlenstoffspeicherung des Waldes. Dies gilt insbesondere für die Gewinne, die sich mit den Hauptursachen der Waldzerstörung im globalen Süden erzielen lassen: mit Rinderzucht, Sojaanbau oder mit der Pflanzung von Ölpalmplantagen in Monokultur. Auch den Abbau von Bodenschätzen wie Kohle oder Edelsteinen haben die ökonomischen Anreize, die REDD+ setzt, bisher nicht aufhalten können. Zudem sind illegale Rodungen häufig – in Indonesien gehen Schätzungen von 80 Prozent illegaler Rodungen für die industrielle Landwirtschaft und die Anlage von Baumplantagen aus. In diesen Fällen greift REDD+ nicht.

Die renommierte Forschungsorganisation CIFOR, die REDD+ befürwortet, schreibt: "REDD+ muss, um einen Vorteil zu bieten, in erster Linie ein Einkommen schaffen. Aber der ursprünglich erwartete Geldfluss durch den Handel von CO2-Krediten auf Emissionsmärkten hat das Ziel nicht erreicht [...]. Denkt man sich REDD+ als eine Versteigerung, wo derjenige, der das höchste Angebot macht, den Wald kontrollieren kann, dann überbieten Agrarunternehmen oft das, was REDD+ bieten kann."[1]

Die Annahme, dass die Zahlungen für die Kohlenstoffspeicherung im Wald die Erlöse aus Waldrodung und Produktion lukrativer landwirtschaftlicher Exportprodukte übertreffen, hat sich als Illusion erwiesen. Die Gewinne aus dem Verkauf von Emissionsgutschriften sowie durch REDD+Zahlungen aus öffentlichen Mitteln sind nicht annähernd so hoch wie die Profitmargen beim Anbau von Soja oder Ölpalmen. Und dies, obwohl die Berechnungen von REDD-Maßnahmen vielfach in der Kritik stehen, vermiedene Emissionen 'hochzurechnen'. Zur Erklärung: Das Konzept lässt dies zu, weil REDD+-Projekte die Menge der eingesparten Emissionen im Vergleich zu einer Prognose der hypothetischen zukünftigen Emissionen berechnet, die ohne das REDD+-Projekt freigesetzt worden wären. Je mehr Entwaldung die hypothetische – letztendlich weder widerlegbare noch nachprüfbare – Zukunftsprognose voraussagt, desto höher sind die rechnerisch vermiedenen Emissionen aus Entwaldung.

REDD+ kann die nötigen Anreize nicht setzen

Vielen Befürworter/innen von REDD+ gilt das Instrument REDD in seiner ursprünglichen Form als Misserfolg. "Sieht man REDD als Mechanismus für eine relevante, ergebnisbasierte Finanzierung von entwickelten Ländern für Entwicklungsländer, dann ist er gescheitert“ schreibt etwa CIFOR. Aus diesem Scheitern folgte allerdings nicht die Abkehr vom REDD-Ansatz. Stattdessen wurde das Konzept seit etwa 2010 umformuliert: Das ursprüngliche Konzept, ökonomische Anreize so zu setzen, dass Waldschutz sich mehr lohnt als Entwaldung, rückt in den Hintergrund. Hingegen wird betont, dass REDD an den „Ursachen der Entwaldung“ (drivers of deforestation) ansetzen muss, um erfolgreich zu sein. Das Ziel, die entgangenen Gewinne bei Erhalt des Waldes zu kompensieren, wird ersetzt durch das neue Ziel, mit REDD+ die Ursachen von Entwaldung zu bekämpfen.

Allerdings zeigte sich in den Folgejahren, dass REDD+ eben so wenig geeignet ist als Instrument zur Bekämpfung der Ursachen von Entwaldung. Denn: Haupttreiber hierfür sind die Rodung für industrielle Landwirtschaft und der illegale Holzeinschlag. Die Erfahrung mit der ursprünglichen Zielsetzung von REDD+ hatte jedoch bereits gezeigt, dass finanzielle Anreize für Kohlenstoffspeicherung diese Ursachen von Entwaldung nicht eindämmen können.

REDD+ schafft neue Konflikte

REDD+ „löste“ diesen Widerspruch, indem sich Maßnahmen immer mehr auf indigene Völker, lokale Gemeinschaften und Formen extensiver Landnutzung ausrichten, statt auf die Verursacher großflächiger Entwaldung. Besonders viele REDD+ Maßnahmen zielen auf die Einschränkung von Wanderfeldbau und kleinbäuerlicher Landwirtschaft im Wald ab, die fälschlicherweise als Ursache von Entwaldung gebrandmarkt werden. “Es ist eine bittere Ironie, dass damit ausgerechnet die Gruppen in den Fokus rücken, die am wenigsten zu Entwaldung beigetragen haben”, resümiert eine Publikation des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) zum Thema.

Zahlreiche Publikationen zeigen inzwischen, dass REDD+ nicht nur die eigentlichen Ursachen von Waldzerstörung unberührt lässt, sondern vielfach lokal Konflikte auslöst oder verstärkt. Konflikte um Landrechte und Zugang zum Wald in der Folge von REDD-Maßnahmen treten besonders häufig auf. Das liegt ganz in der Logik von REDD+: Um REDD+Zahlungen zu erhalten, muss ein Waldbesitzer oder eine Waldbesitzerin eine Nutzungsänderung, die Vermeidung einer geplanten Entwaldung, nachweisen. Ohne eine solche Vermeidung ist der Erhalt von Zahlungen aus REDD+ nicht möglich. Sind Besitz- und Nutzungsrechte für den REDD+-Wald jedoch strittig, sind Konflikte vorprogrammiert: Problematisch wird es, wenn diejenigen, die den Wald nun nur noch eingeschränkt nutzen können, nicht gleichzeitig die Empfänger/innen der REDD+Zahlung sind. Das heißt: Die eigentlich von Nutzungseinschränkungen und Einkommensverlust Betroffenen gehen bei der Verteilung der vermeintlichen 'Benefits' leer aus.

In vielen Fällen schwächen REDD+-Maßnahmen auch kollektive Landrechte und schaffen damit größere Unsicherheit für traditionelle Gemeinschaften und indigene Völker. „Dass sich dennoch indigene Völker und lokale Gemeinschaften an REDD-Projekten beteiligen, liegt an den immensen finanziellen Erwartungen, die mit REDD geweckt wurden, an dem Mangel an Alternativen und oftmals auch an Fehlinformationen und Manipulation. Ein vorhersehbares Ergebnis hat REDD aufgrund dieser Erwartungen schon erreicht: Es hat indigene Organisationen gespalten."[2]

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers "Neue Ökonomie der Natur".

 

Anmerkungen

[1] „Yet for anyone to benefit, REDD+ must generate income in the first place, and the REDD+ revenue stream originally envisioned through trading carbon credits on carbon markets has fallen short of targets. ‘If you think of REDD+ as a bidding process in an auction, where those who make the highest bid can control forest land use, the bid offered by big agricultural companies often outcompetes what can be offered by REDD+,’. Aus: Forrest News: "Global study: REDD+ initiatives see challenges — and opportunities" am 14. April 2014.

[2] Thomas Fatheuer: Die vermessene Natur, Seite 12